Die schöne neue Welt – in Klassenzimmern soll sie so aussehen: Jeder Schüler hat einen Laptop oder ein Tablet, jeder Raum ist optimal vernetzt, surfen geht schnell, digitale Lernplattformen sind eine Selbstverständlichkeit und die Lehrer mutimedial bestens geschult.
Die nicht so schöne alte Welt – in Klassenzimmern sieht sie so aus: Auch zwei Jahrzehnte nach den ersten Schlachtrufen in Richtung Schule und Digitalisierung sei „die Ausstattung ein Witz und die Ausbildung der Lehrer unzureichend“, sagt Johannes Zylka, promovierter Medienexperte und Realschullehrer an der Gesamtschule Wutöschingen (Kreis Waldshut).
Viele Baustellen
Baustellen gibt es viele. Fortbildung von Lehrern heißt die erste, Personalmangel die zweite, zu wenig Geld seitens der Schulträger und des Landes die dritte, ständig wechselnde Vorgaben im Rahmen von Bildungsplänen die vierte, Datenschutz an den Schulen die fünfte – und so weiter.
„Die Initiativen auf politischer Ebene kommen im Schulalltag nicht an; die meisten Ressourcen gehen im System unter“, moniert Zylka. Vor allem hänge es am Personal. Ein Lehrer seiner Schule habe sich nebenher um die Verwaltung von 450 Laptops gekümmert – ohne Entlastung von seiner Lehrtätigkeit. „Dabei ist klar zu sehen, dass der Einsatz von 450 Endgeräten sicherlich die technischen Grundlagen eines mittelständischen Betriebes erfordert.“ Inzwischen gibt es an seiner Schule eine halbe Stelle für die Wartung der IT.
Vorbildlich: Friedrichshafen
Vorbildhaft agiere auch die Stadt Friedrichshafen (Bodenseekreis), sagt er, und eine Stadtsprecherin bestätigt: Drei zusätzliche Stellen wurden hier schon 2014/2015 vom Schulträger geschaffen, um die Schul-EDV professionell zu verwalten.
Dringend notwendige IT-Fachkenntnisse sind eine Sache, didaktische Medienkompetenz der Lehrer eine weitere. Auch hier hapert es deutlich.
Zwar spricht das Stuttgarter Kultusministerium auf Anfrage von rund 10 000 Lehrern, die im vergangenen Jahr entsprechend geschult worden seien. Das aber ist in den Augen mancher Experten längst nicht ausreichend. „Lehrer brauchen ein festes Fortbildungskontingent, das sie nutzen können – während ihrer Dienstzeit“, sagt der Landessprecher des Lehrerverbandes Bildung und Erziehung (VBE), Michael Gomolzig.
Laut aktuellem Bildungsplan sollen auch die Schulgebäude vernetzt und mit WLAN-Netzen ausgestattet werden, das wird teuer. Auf rund 5000 Euro pro Klassenzimmer schätzt der Bildungsdezernent des Städtetages, Norbert Brugger, die Kosten – „ohne Endgeräte“.
Hinzu kommt: Digitalisierung losgelöst von der überfälligen Sanierung von Schulen – unmöglich, sagt er. Das Ganze sei nur als Gesamtpaket nachhaltig. „Außerdem dauert es Jahre“, sagt er. „Und auch die Fortbildung der Lehrer wird Jahre dauern.“
Ministerium schweigt noch
Das Ministerium sitzt an einem Digitalisierungskonzept, schweigt zu allen Details jedoch noch. Es sei zu früh, sagt ein Sprecher. Im März soll es Ergebnisse geben.
An genau solche Konzepte sind Mittel aus dem Digitalisierungspakt geknüpft, mit dem Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) den Schulen auf die Sprünge helfen will: Rund 125 000 Euro durchschnittlich pro Schule über die kommenden fünf Jahre.
„Wir versprechen uns sehr viel vom Digitalpakt“, betont Brugger. Das Geld müsse ungeschmälert bei den Kommunen ankommen. Unabhängig von aller berechtigten Kritik an finanziellen und organisatorischen Erschwernissen: Die Digitalisierung kommt, und sie steht und fällt nicht zuletzt mit dem Engagement der Lehrer.