An einer Säule des Straßburger Münsters ist eine kleine Figur in den Stein gelassen. Ein gebeugter Mann trägt die Last der Steine auf seinen Schultern. Kaum einer kennt die spannende Geschichte, die dahintersteckt.
Die außergewöhnliche Leistung des Architekten Johann Knauth (in Köln 1864 geboren und 1924 in Gengenbach gestorben) hat man in Straßburg nicht vergessen. „Er hat das Straßburger Münster vor einem schrecklichen Schicksal bewahrt“, sagt der Präsident des „Freundeskreises des Münsters“, Jean Paul Lingelser. Knauth hat seinerzeit Tonnen von Stahlbeton unter den tragenden Pfeiler des Münsterturms einspritzen lassen und so die Kathedrale vor einer Katastrophe bewahrt. Eine Straße trägt bereits seinen Namen, doch die Freunde des Münsters haben sich Größeres vorgestellt.
Straßburgs Oberbürgermeister Roland Ries hat Lingelser nach mehreren Anfragen zugesichert, dem letzten deutschen Architekten des Münsters Knauth einen Gedenkstein zu setzen. Im kommenden Jahr dürfte es soweit sein, wenn der Umbau des Platzes vor dem Rohan-Schloss abgeschlossen ist. Knauth, der Anfang des 20. Jahrhunderts im Dienst der Münsterbauhütte (Oeuvre Notre-Dame) stand, entdeckte Risse in dem tragenden Pfeiler des Münsters unter dem tonnenschweren Turm. Schuld war der sinkende Grundwasserspiegel, durch den Eichenpfeiler im Untergrund freigelegt wurden, die von Fäulnis befallen wurden.
Der Pfeiler wurde durch einen Eisenring mit Balken abgestützt und mit einer Hydraulik-Winde wurden die 10 500 Tonnen Gesamtgewicht des Pfeilers mit Turm zehn Zentimeter angehoben. 2000 Liter Stahlbeton wurden unter den Pfeiler eingelassen. So konnte die Struktur dauerhaft stabilisiert werden. Das war Rettung in höchster Not. Der Turm neigte sich bereits leicht und in Straßburger Cafés wurden Wetten abgeschlossen, auf welche Seite er stürzen würde – nach rechts oder links oder direkt auf das Kirchenschiff.
Die Umbrüche des Ersten Weltkriegs haben dem bis dahin hoch angesehenen Straßburger Bewohner Knauth ein schweres Schicksal bereitet. Er verlor zwei Söhne im Krieg, was ihn zutiefst verbitterte. Als das Elsass 1918 zu Frankreich kam, lehnte er es ab, Franzose zu werden, auch wenn er mit einer Elsässerin verheiratet war. Er verlor seine Anstellung in der Münsterbauhütte, musste seine Dienstwohnung in Straßburg aufgeben und wurde schließlich ohne Pensionsanspruch 1921 aus Frankreich ausgewiesen. In Deutschland erging es ihm nicht besonders gut. Man warf ihm Zusammenarbeit mit den Franzosen vor. Er starb vereinsamt mit 60 Jahren in Gengenbach, sein Grab befindet sich in Offenburg.
In Gengenbach gab es in den letzten Jahren Überlegungen, ähnlich wie in Straßburg eine Straße nach Knauth zu benennen. Doch die Idee ist mittlerweile im Sande verlaufen. „Einer breiten Öffentlichkeit ist er hier auf der badischen Seite nicht bekannt“, sagte der Präsident des Historischen Vereins für Mittelbaden, Klaus Kaufmann, der Nachrichtenagentur dpa. „Knauth ist seinerzeit ein Opfer der Feindseligkeiten zwischen Deutschland und Frankreich geworden. Dennoch sollte man die Erinnerung an ihn wach halten“, sagte Kaufmann.