Kabarettist Frank-Markus Barwasser schickte sein Alter Ego Erwin Pelzig im Altmänner-Outfit mit Trachtenjanker und Stoff-Hütli auf die Bühne der ausverkauften "funkelnigelnagelneuen" Tauberphilharmonie. Selbstredend führte Erwin auch sein Detlev-Täschchen aus, der letzte Schrei der späten 70er-Jahre. Mit seinem achten Programm "Weg von hier" legte der Kabarettist nicht nur einen Finger in die Wunden einer "bostfaktischen" Zeit, mit der Pelzig so arg fremdelt, dass einem nach fast zweieinhalb Stunden Kabarett im Affenzahn gehörig die Birne brummt.
Furios, atemlos und respektlos nahm Pelzig alles ins Visier, was ihm vor die Flinte kam. Und er duckte sich nicht weg, wenn er noch bissiger als früher Georg Schramm als renitenter altpreußischer Rentner Lothar Dombrowski, den er seinerzeit im ZDF bei "Neues aus der Anstalt" ablöste, die Missstände in Politik und Gesellschaft anprangerte. Die Trumps, Orbans und Erdogans bekamen ebenso wie alle Parteien hierzulande ihr Fett weg, doch für Schadenfreude ließ Pelzig wenig Platz. Denn der Tenor seiner pointenreichen Tiraden, die er gerne auch mit seinen Freunden Hartmut und Dr. Göbel zum Besten gab, war entschieden unbequem: Die allgemeine Unzufriedenheit als kleinster gemeinsamer Nenner einer Gesellschaft, die sonst von nichts anderem zusammengehalten wird, führt in die Sackgasse. Folgerichtig prangerte Pelzig die Flucht aus der Realität in die virtuellen Schutzräume Gleichgesinnter im Internet an. Harmlosere Zeitgenossen ergötzten sich stattdessen an den "süßen Kädzle".
Barwasser statt Pelzig
Abschottung ist gefährlich, mahnte Pelzig, der mit Scharfsinn und Tragikomik entschlossen versuchte, eine begehbare Schneise in den Wald voller Klischees, Ignoranz und Falschheit zu schlagen. Spätestens jetzt war in Weikersheim der Zeitpunkt gekommen, wo man immer stärker nicht mehr Erwin Pelzig als Kunstfigur vor sich sah, sondern den ausgebildeten Journalisten Frank-Markus Barwasser aus Würzburg, der so unglaublich verzweifelt-nachdenklich wirkte, dass einem bei vielen bitter-bösen Pointen das Lachen im Halse steckenblieb. Der Kabarettist erinnerte an die Flucht vor den Fakten im Zeitalter der Romantik, nachdem die Aufklärung viele Menschen überfordert hatte.
Kabarett auf höchstem Niveau war sein vergeblicher Versuch, den kategorischen Imperativ von Kant, verständlich vorzutragen. Er verhedderte sich heillos und rettete sich mit der Übersetzung: "Sei kein Arschloch". Besser konnte Barwasser die Forderung Kants nicht übersetzen. Gehörige Kratzer an diesem optimistischen Menschenbild gab es zuvor. Eine Bankrotterklärung an die abendländische Vernunft war der Terroranschlag auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch; Barwasser zeigte sich höchst betroffen von den Morden in Halle, die ebenso wie dort in perverser Weise mit Helmkamera vom Attentäter live im Netz übertragen wurden.
Stammtisch mit Hartmut und Dr. Göbel
"Erste Sahne" waren die schauspielerischen Einlagen Barwassers mit seinen Stammtisch-Kumpanen Hartmut und Dr. Göbel. Knallhart wurde in unterschiedlichen Dialekten über Nationalsozialismus, Filterblasen und soziale Netzwerke diskutiert. Dreifach waren auch die Perspektiven, die Barwasser mit dem Stuhl des Träumers, des Kritikers und des Realisten zu den unterschiedlichen Themen einnahm. Eine von Barwasser wärmstens ans Herz gelegte Methode, die Walt Disney vor wichtigen Entscheidungen erfolgreich anwandte.
So manche nützlichen Erkenntnisse, etwa über Big-Data, Fake News oder Mikroaggressionen, die Barwasser von einem "Beleidigungs-Soziologen" erfuhr, wurden den Zuhörern ebenso wenig vorenthalten wie die in der Altenpflege und Sex-Industrie gleichermaßen nützlichen Roboter aus Japan. Zum Abschluss des Abends hatte Dr. Göbel einen großen Auftritt mit einem ungeheuren Redeschwall über seine Entscheidungsschwächen bei der Auswahl von nicht mehr unterscheidbaren Lebensmitteln im Supermarkt. Barwasser zeigte sich vom schon fast frenetischen Beifall gerührt und machte Weikersheim Hoffnungen auf das neue Programm mit ihm – oder mit Pelzig.