Die Menschen werden älter, die Kosten für Betreuung und Pflege explodieren. Was tun? Assistenzsysteme könnten Teil der Lösung sein. Karlsruher Forscher probieren aus, wie das gehen könnte.
Das Bett ist gemacht und frisch bezogen. „Home sweet home“ steht auf der beige-blau gestreiften Bettwäsche. In den Zimmern hängen Monitore, im Bad ein Spiegel, der gleichzeitig Bildschirm ist. In der Garderobe ein Notrufgerät; im Schlafzimmer ein Bewegungssensor auf dem Tisch und einer unter dem Bettvorleger. In der Küche der schlaue Herd, der sich ausschaltet, sobald der Sensor an der Haustür ihm gemeldet hat: Der Koch hat soeben die Wohnung verlassen. Im Smart Home des Karlsruher Forschungszentrum Informatik (FZI) ist nichts dem Zufall überlassen.
Die Wohnung ist gespickt mit „altersgerechten Assistenzsystemen“, kurz AAL. Mit ihrer Hilfe sollen alte Menschen solange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden bleiben können – gut versorgt und betreut. Die Geräte sind ferngesteuert, Sensoren registrieren, wenn der Bewohner stürzt und schlagen Alarm, schlaue Rollatoren tragen Lasten, helfen beim Gang zur Toilette.
Das alles funktioniert bislang fast ausschließlich im Labor. „Noch ist das Ganze von einer breiten Umsetzung in der Praxis weit entfernt“, sagt Roland Sing vom Landesseniorenrat, der sich seit Jahren mit dem Thema befasst. „In die Forschung fließen viele Millionen, aber beim Verbraucher sind AAL-Systeme noch nicht richtig angekommen.“ Seit kurzem kümmert sich daher eine Arbeitsgruppe am Wirtschaftsministerium darum, die Problematik in die Handwerksinnungen zu tragen. „Damit die Handwerker zum Beispiel ihre Kunden entsprechend beraten können“, erläutert Sing. Auch ein Kongress zum Thema AAL unter Leitung des Sozialministeriums soll sich 2014 speziell an die Verbraucher richten.
Forscher Wilhelm Stork vom FZI sieht seine Systeme als Teil des Gesundheitssystems. „Unser Ziel muss die Gesunderhaltung des Menschen sein.“ AAL könne helfen, Krankheiten früher zu erkennen – vom nahenden Herzinfarkt, der auf dem Bürostuhl mit berührungslosem EKG nachweisbar wäre, bis hin zur Altersdepression. „Wenn der Sensor meldet, dass der Senior kaum noch aus dem Haus geht, kann das etwa ein Anzeichen sein für Einsamkeit und beginnende Isolation“, erklärt Storks Mitarbeiter Stephan Heuer.
Je mehr Alltagsdaten über den Senior gesammelt werden, desto besser kann dieser später seine Assistenzsysteme auf seine Bedürfnisse abstimmen. „Er hat selbst die Daten in der Hand. Er kann sie öffnen, wann und wem er möchte“, sagt Heuer. So könnte er etwa seinen Angehörigen erlauben, auf einen Teil der Daten zu schauen, falls er mal nicht ans Telefon geht.
Aber verschwindet denn der Mensch nicht hinter so viel Technik? „Im Gegenteil“, sagt Stork. „Er hat mehr von seiner Umgebung, er kann in virtuelle Welten eintauchen und sich darüber mit der realen Welt verbinden: Mit dem Freund in Australien oder den Kindern in einer weit entfernten Stadt.“ In Pflegeheimen könnte die Technik dem Personal helfen, etwa „weniger Zeit mit vorsintflutlicher Dokumentation zu verbringen und mehr Zeit für den Menschen zu haben“, sagt Sing. „Und viele der Entwicklungen sind gar nicht teuer.“
So wurden in den vergangenen zwei Jahren rund 100 Wohnungen in verschiedenen Städten Baden-Württembergs mit einem Sensorsystem und Bewegungsmeldern ausgestattet – an Kühlschranktüren, Haustüren, auf der Toilette. Die Bewohner sind alleinstehend, mindestens über 65, die meisten sogar über 80 Jahre alt. Im Karl-Weiser-Haus in Ludwigsburg probieren acht Senioren im betreuten Wohnen aus, wie AAL im Alltag funktioniert. „Sie kommen sehr gut zurecht damit“, sagt Gregor Senne, der das Easy Care genannte Projekt betreut.
„Vernetztes Gesundheitswesen – da müssen wir hin“, sagt Stork. „Und wir brauchen Firmen, die bereit sind, unsere Produkte an den Markt zu bringen.“ Der demografische Wandel birgt ja schließlich nicht nur Risiken – sondern“, so der AAL-Experte Sing „er ist ein Wirtschaftsfaktor“.