Leiden, Tod und Auferstehung Jesu sind zentrale Aspekte des christlichen Glaubens. Mit der anstehenden Karwoche rücken sie wieder in den Mittelpunkt von Gottesdienst und persönlicher Frömmigkeit. Zur Einstimmung auf die „Heiligen Woche“ brachte der Kirchenchor St. Bonifatius unter der Leitung von Ursula Leicht Johannes Georg Kühnhausens Matthäuspassion für Soli, Chor und Generalbass zur Aufführung. Bildprojektionen verstärkten die Intensität der Musik.
Mit der Passionsvertonung hatte der Kirchenchor sich ein wenig bekanntes, aber trotzdem sehr eindrückliches Werk ausgesucht. Über dessen Schöpfer weiß man fast nichts. Johannes Georg Kühnhausen war von 1661 bis 1714 Stadtkantor in Celle, die „Deutsche Matthäuspassion“ ist sein einziges erhaltenes Werk. In ihm vertonte er wahrscheinlich um 1700 die Leidensgeschichte Jesu vom Garten Gethsemane bis zu Jesu Tod – eine Besonderheit, denn üblicherweise enden Kompositionen dieses Genres erst mit der Begräbnisszene.
Kühnhausens Komposition ist auch die erste, die die Erzählung an bedeutsamen Stellen durch Choralstrophen unterbricht. Stellvertretend für die zuhörende Gemeinde – und kunstvoller als diese es könnte – gibt der Kirchenchor Kommentare zu dem heiligen Geschehen und drückt darin die Anteilnahme der Hörer aus beziehungsweise fordert dazu auf. Teilweise sind diese Strophen auch den Solostimmen anvertraut.
Die Aufführung in der Bonifatiuskirche machte das biblische Geschehen in seiner ganzen Dramatik erlebbar. Das lag an den musikalischen Mitteln, die zum Einsatz kamen, aber auch an den auf Großleinwand projizierten Bildern verschiedenster Künstler aus unterschiedlichen Epochen. Kühnhausens Matthäuspassion wurde so zu einem außergewöhnlichen Hör- und Schauspiel.
Arno Leicht, der auch die Chorpartien einstudiert hatte, übernahm als Solosänger die Rolle des erzählenden Evangelisten. Andreas Stoy gab den Christus ausgesprochen temperamentvoll, aber souverän und groß. Fabian Waldherr übernahm gleich mehrere Rollen: Er war der falsche Zeuge, der aufbrausend polternde Petrus und der aggressiv und hitzig verhörende Kaiphas. Marco Hassmann schlüpfte in die Rolle des verschlagen agierenden Judas und des geschäftsmäßig verhandelnden Pilatus.
Das Geschehen kommentierte Annina Krause als vorzügliche Solistin und im Duett mit Brigitte Waldmann-Grotz. Fabian Waldherr und Xaver Dobmeier stimmten außerdem berührende Duettarien an.
Der Chor übernahm die Worte des Volkes, das sich mit Beschuldigungen an der Kreuzigung Jesus beteiligte. Eindringlich seine Rufe, wenn er sang: „Er ist des Todes schuldig“ oder die hämisch klingenden Worte „Lass ihn kreuzigen“ – fast lustvoll kam dieser Satz aus den Mündern des Volkes. Der Spott, das Lästern und der Hohn der Meute ließen die Zuhörer erstarren.
Die letzten Worte Jesu am Kreuz übernahm die Bassstimme – Wort für Wort formte Andreas Stoy diese unter scheinbarer Anstrengung, unter größten Schmerzen: „Eli lama sabthani“ – Mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Dann die Generalpause. Ein Innehalten, blutleer. Die Zeit schien stehenzubleiben, für einen Augenblick. Schließlich setzte der Choral ein – dankend die Worte des Chors für das Leiden, welches Christus auf sich genommen hatte.
Der Gesang wurde musikalisch gestützt durch ein beständig begleitendes Akkordinstrument, dessen schwache Basstöne von einem Streichinstrument verstärkt wurden. Martin Wetterich (Cembalo) und Jessica Unsinn (Violoncello) meisterten diese Aufgabe souverän.
Wie gewünscht ohne Applaus verließen die zahlreichen Zuhörer die zu Herzen gehende Aufführung. Dennoch war zu spüren, dass Musik und Bildimpulse ihr Ziel erreicht und eine bleibende Wirkung hinterlassen hatten.