Als Provinzfürst belächelt, als EU-Politiker akzeptiert: Günther Oettinger ist ein Energiekommissar mit Fachwissen. In industrienahen Kreisen wird er geschätzt. Einst peilte er in Stuttgart Schwarz-Grün an, doch in Brüssel ist vom Ökokurs wenig zu sehen. An diesem Dienstag feiert der gebürtige Stuttgarter seinen 60. Geburtstag.
Ein EU-Kommissar eröffnet die Feuerbacher Kirbe? Wer sich wundert, dass Günther Oettinger (CDU) jüngst auf dem Stuttgarter Stadtteilfest auftaucht, kennt dessen Vorliebe für „Heckenbeerenfeste“ nicht. Oettinger ist heimatverbunden und leutselig – ob in Stuttgart oder in Brüssel, wo der Energiekommissar häufig Gastredner in Baden-Württembergs EU-Vertretung ist und vom Hausherrn, dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, als „lieber Günther“ begrüßt wird.
Auf EU-Parkett zunächst als Provinzfürst mit holprigem Englisch („In my homeland Baden-Württemberg we are all sitting in one boat“) belächelt, hat er sich in Brüssel inzwischen zum anerkannten Fachmann gemausert. Von Christ- und Sozialdemokraten im Europaparlament für seine Expertise geschätzt, grummeln die Grünen beim Namen Oettinger. Sie werfen ihm einen Pro-Atom-Kurs vor, was er bestreitet.
Ausgerechnet die Grünen. Nicht nur im Bund hält Oettinger eine schwarz-grüne Koalition derzeit für möglich. Er selbst machte den Grünen auch einst Avancen – 2006 schien eine schwarz-grüne Landesregierung mit ihm und dem damaligen Grünen-Fraktionschef Kretschmann an der Spitze in Stuttgart greifbar nah. Doch konservative Parteikräfte, darunter sein späterer Nachfolger im Staatsministerium, Stefan Mappus, torpedierten die Ökokuschelei. Es wurde doch Schwarz-Gelb, Oettinger wechselte 2010 nach Brüssel. So ganz freiwillig war das wohl nicht – die Opposition sprach von „Wegbeförderung“ durch Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Vorher hatte die CDU im Südwesten bei der Bundestagswahl 2009 mit 34,4 Prozent einen Tiefschlag erlitten. Hinzu kam der Fauxpas des als liberal geltenden Juristen bei einer Trauerrede für Ex-Regierungschef Hans Filbinger (CDU) – den einstigen NS-Marinerichter erklärte Oettinger zum Nazigegner.
Auch in Brüssel tritt er bisweilen in Fettnäpfchen. Staaten wie Griechenland wollte er 2011 per Abschreckung zum Defizitabbau antreiben: Fahnen von Schuldensündern könnten vor EU-Gebäuden auf Halbmast gesetzt werden. Abseits solcher Ausrutscher ist Oettinger heute als Kommissar bekannt, der sich in seinem Energieressort bis ins kleinste Detail auskennt. Bei der Frage Klimaschutz oder Industriewohl zieht er letzteres vor. Konzernlobbyisten und Industriepolitiker sind bestens auf „Oetti“ zu sprechen. Die Kooperation mit ihm sei „eine Freude“, meint CDU-Europaparlamentarier Herbert Reul. Und der EU-Abgeordnete Bernd Lange von der SPD lobt den Schwaben als „Energieeuropäer“. Bei den Grünen im EU-Parlament sträuben sich hingegen die Nackenhaare. Bremser für Ökoenergien und „Anti-Modernisierer“ nennt ihn Grünen-Fraktionschefin Rebecca Harms. „Ein Mann aus dem Gestern.“ An Oettinger perlen solche Vorwürfe ab: Er sehe das Thema Kernkraft neutral. Ein Atomgegner auf seinem Posten wäre letztlich auch nicht tragbar, denn EU-Staaten wie Frankreich beziehen fast 80 Prozent ihres Stroms aus Atommeilern. Oettinger ist dafür, grüne Energien weiter stark auszubauen – aber bitte preisgünstig, um der Industrie nicht zu schaden. Sein Motto: viel Wettbewerb, wenig Staat.
Harten Wettbewerb scheute Oettinger auch in seiner Politkarriere nicht – Parteifreunde packte er nicht immer mit Samthandschuhen an. Als der bereits als „Prinz Charles der Landespolitik“ titulierte CDU-Mann nach 14 Jahren an der Fraktionsspitze im April 2005 auf dem Regierungssessel Platz nahm, sah er sich dem Vorwurf des „Königsmordes“ an seinem Vorgänger Erwin Teufel (CDU) ausgesetzt. In seine Amtszeit fällt der Durchbruch für das Bahnvorhaben Stuttgart 21, die Wiedereinführung der Studiengebühren sowie ausgeglichene Landesetats 2008 und 2009. Als Ko-Chef der Föderalismuskommission II setzte er eine „Schuldenbremse“ im Grundgesetz durch.