
Ein so mitreißender Auftritt des mit Holzbläsern, Trompeten, Posaunen und Tuben doppelt besetzten SWR Symphonieorchesters ist nicht nur in der Weikersheimer Tauberphilharmonie ein seltenes Erlebnis. Weil zum Auftakt das Werk von einem Minimal-Music-Komponisten interpretiert wird, beeindrucken zudem nicht nur die großen Streichergruppen. Zum Einsatz kommen vielfältige Schlaginstrumente, wie sie John Adams für seine kreative Komposition „The Chairman Dances / Foxtrott für Orchester“ vorsieht. Harmonische und rhythmische „Patterns“ wechseln sich ab oder ergänzen sich, wobei die Vernetzung von modernen Rhythmen und spätromantischen Klängen hypnotisch-elektrisierende Wirkung entfaltet. Adams imaginiert fantasievoll einen von Mao Zedong mit seiner Frau getanzten Foxtrott. Die Komposition nahm der 1947 geborene Tonkünstler in seine Oper „Nixon in China“ auf. Die innovative Inszenierung im Mainfranken Theater Würzburg von 2018 ist noch in bester Erinnerung.
Frisch zupackendes Dirigat
Mit „Lyric at its best“ ließe sich das Violinkonzert D-Dur op. 35 von Pjotr Tschaikowski überschreiben, denn in diesem Stück verbindet sich die sinfonische Gestaltung von Bildern mit lyrischem Zauber und emotionaler Ausdruckskraft. Frisch zupackend lässt die in Hongkong geborene Dirigentin Elim Chan das Orchester den im Grunde in traditioneller Sonatenform aufgebauten ersten Satz mit frei fließenden Melodien spielen. Bestechend blüht der Gesangston der Geigen auf. In die Mitte des ersten Satzes packt der Komponist höchste Anforderungen mit anspruchsvollen Läufen und Doppelgriffen, denen der 1989 in Washington D.C. geborene Benjamin Beilman nicht nur in der Solokadenz souverän gewachsen ist. Als sprunghaft und unruhig Motive auftauchen, die sich nicht zu einem runden Ganzen vereinen, übernimmt das folgende Hauptthema diese Rolle. Verhaltene Trauer erklingt im zweiten Satz, der „Canzonetta“ in einfacher dreiteiliger Liedform. Mit melancholischen Figuren umspielen Klarinette und Flöte sehr reizvoll die Hauptmelodie. Im fulminanten Finale ist Beilman nicht weniger gefordert, denn Trauer und Beschaulichkeit weichen überschäumender Lebensfreude. Für eine ganz nach innen gewandte Zugabe bediente er sich aus dem rechhaltigen Schatz von Bachs Sonaten für die Solo-Violine.
Folkloristisches Gespür
In der Ukraine schrieb Tschaikowski die Sinfonie Nr.2 c-Moll op. 17 und verwendete ukrainische Volkslieder; entsprechend hat das 1873 in Petersburg uraufgeführte Sinfonie den Beinamen die „ukrainische“ oder „kleinrussische“ erhalten. Nur zu bewundern ist das folkloristische Gespür des Komponisten, der auf seiner Entdeckungstour reichlich fündig wurde. Zwei Tage vor dem Konzert in der Tauberphilharmonie wurde diese Sinfonie mit dem Symphonieorchester im Live-Mittagskonzert aus der Stuttgarter Liederhalle vom SWR übertragen. „Mütterchen Wolga“ spielt das Orchester im ersten Satz mit einem Hornsolo als ukrainische Variante mit fast betörender Langsamkeit, um dann, scharf geschnitten und rhythmisch akzentuiert, das Hauptthema auszubreiten und leise ausklingen zu lassen. Für den im zweiten Satz von den Klarinetten und dem Fagott vorgetragenen Hochzeitsmarsch verwendete Tschaikowski Material aus seiner nicht veröffentlichten Oper „Undine“, die der selbstkritische Komponist insgesamt für misslungen hielt. Mit immer neuen Sichtweisen beleuchtet das Orchester mit instrumentalen Varianten die Wiederkehr des Satzbeginns. Temperamentvoll wird der dritte Satz mit Zitaten eines volkstümlichen Scherzliedes gespielt. Eine Atmosphäre voller Lebenslust und Freude wird im Finale mit dem ukrainischen Volkslied „Kranich“ verbreitet; eine optimistische Stimmung, die von der aktuellen Gemütslage des gepeinigten Landes sehr weit entfernt ist.
Der enthusiastische Beifall in der ausverkauften Tauberphilharmonie galt der versierten Dirigentin, dem Solisten und einem Ensemble der Extraklasse für ein anhaltend euphorisch stimmendes Konzerterlebnis.