Karlsruhe legt seine Straßenbahnen unter die Erde und am Samstag findet dafür der „Tunnelanstich“ statt. Neun Monate lang wird sich die gigantische Tunnelvortriebsmaschine Mixschild S-869 durch Kies und Sand schieben und so eine zwei Kilometer lange Röhre vom Durlacher Tor im Osten bis zum Mühlburger Tor im Westen der Innenstadt legen.
Bundesweit einzigartig ist eine unterirdische Abzweigung mit Signalanlage für den Kreuzungsverkehr. „Das rettet Karlsruhe vor dem Verkehrskollaps“, lobt der Berliner Bahntechnik-Experte Wolfgang Hauschild. „Die Straßenbahn erlebt überall eine Renaissance.“ Vor allem mit Blick auf den Berufsverkehr biete die Beförderung einer großen Anzahl von Fahrgästen auf der Schiene weit mehr Vorteile als der motorisierte Individualverkehr. Die Verlegung in den Untergrund sei allein dem mangelnden Platzangebot geschuldet.
Die breite öffentliche Debatte über die Verkehrspolitik in der zweitgrößten Stadt in Baden-Württemberg ist lange beendet. Beim Bürgerentscheid 2002 stimmten 56 Prozent für die Umsetzung der sogenannten Kombilösung. Inzwischen ist Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) voll des Lobes über die Art und Weise, wie die Karlsruher die Entscheidung angenommen und jetzt auch das Übermaß an Baustellen akzeptiert haben. Er hofft, dass das Jahrhundertprojekt im Kostenrahmen von 900 Millionen Euro bleiben wird.
Kritische Stimmen aber gibt es nach wie vor. Die oberirdischen Bahnen in der Kaiserstraße seien ein entscheidender Beitrag für die Attraktivität und die gute Erreichbarkeit der Geschäfte im Stadtzentrum, sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Gemeinderat, Bettina Lisbach. „Der Tunnel unter der Kaiserstraße kann diese Funktion nur unzureichend erfüllen.“
Die Entwicklung in Europa gehe eigentlich wieder in Richtung der ebenerdig verkehrenden Straßenbahn, erklärt der freiberufliche Verkehrsplaner Axel Kühn. In Städten mit bestehender U-Bahn wie Lyon oder Barcelona werde gerade wieder eine oberirdische Straßenbahn eingeführt. „So groß, wie das Straßenbahn-Netz in Karlsruhe geworden ist, musste aber sicherlich etwas getan werden.“
Das liegt auch am besonderen Konzept der umsteigefreien Verbindungen aus der Region ins Stadtzentrum. So fahren S-Bahn-Züge aus Baden-Baden, Freudenstadt, Bietigheim-Bissingen oder Heilbronn direkt zu den verschiedenen Straßenbahn-Haltestellen in der Karlsruher Innenstadt.
„Der Grundgedanke ist gut, aber hier ist das Ganze vielleicht zu weit getrieben worden“, sagt Kühn. So müsse man unterscheiden zwischen einem stadtbahnwürdigen Radius und dem Regionalverkehr, dem ein Umsteigen am Hauptbahnhof zugemutet werden könne.
Das hohe Verkehrsvorkommen in der 9,32 Meter breiten Tunnelröhre - angestrebt sind stündlich bis zu 33 Züge in jeder Richtung – ist nach Ansicht Kühns überaus ehrgeizig. Die unterirdische Abzweigung mit einem Gleisdreieck unterm Marktplatz könnte aus seiner Sicht bewirken, dass diese angestrebte Kapazität nicht zu erreichen ist.
Die vom Gleisdreieck nach Süden führende Tunnelröhre wird nicht von dem rund 80 Meter langen elektromechanischen Wunderwerk der Firma Herrenknecht angelegt, sondern im klassischen Untertage-Abbau. Diese Arbeiten beginnen nach Angaben der Karlsruher Schieneninfrastruktur-Gesellschaft (Kasig) voraussichtlich Mitte 2015, wenn sich der Bau des Ost-West-Tunnels seinem Ziel am Mühlburger Tor nähert.
Im äußeren Stahlbeton-Rohbau sind die sieben unterirdischen Haltestellen bereits vorbereitet, die Tunnelvortriebsmaschine sorgt jetzt für ihre Verbindung. Täglich soll sie sich etwa acht bis zehn Meter voran arbeiten. Gleichzeitig beginnen die Arbeiten weiter südlich an der Kriegsstraße. Dort wird am Ettlinger Tor ein Kombi-Bauwerk errichtet: Ganz unten wird der Tunnel für die Stadtbahn in Nord-Süd-Richtung angelegt, darüber der Autotunnel in Ost-West-Richtung. Oberirdisch kommen eine neue Straßenbahntrasse, Fahrspuren für den Anliegerverkehr sowie Fußgänger- und Radwege hinzu.
Der Stadtbahntunnel soll bis Ende 2018 in Betrieb gehen, der Abschluss der Arbeiten an der Kriegsstraße ist 2019 geplant. Aus dem jetzigen Verkehrsmoloch, der die Stadt zerschneidet, soll dann eine grüne Verbindungsachse werden.
Unterstützung erhalten die Mineure am Wochenende von Tunnelpatin Gerlinde Hämmerle. Die ehemalige Bundestagsabgeordnete (SPD) und Karlsruher Regierungspräsidentin vertritt die Heilige Barbara, die Schutzpatronin der Bergleute. Sie ist auch dabei, wenn sich das Schneidrad der Tunnelvortriebsmaschine am Durlacher Tor zu drehen beginnt. Noch leuchten darauf die Karlsruher Farben Rot-Gelb-Rot. Wenn die Maschine ihre Arbeit erledigt hat, wird von der Farbe nichts mehr zu sehen sein.