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Grünsfeld
In Grünsfeld erheben die Glocken ihre Stimmen wieder
Pfarrer Oliver Störr und Barbara von Brunn mit den neuen Klöppeln für die Glocken der Stadtpfarrkirche St. Peter und Paul in Grünsfeld. Die beiden stehen unter einer der historischen Glocken von 1862.
Foto: Ulrich Feuerstein | Pfarrer Oliver Störr und Barbara von Brunn mit den neuen Klöppeln für die Glocken der Stadtpfarrkirche St. Peter und Paul in Grünsfeld. Die beiden stehen unter einer der historischen Glocken von 1862.
Ulrich Feuerstein
 |  aktualisiert: 09.02.2024 12:28 Uhr

Ein Vierteljahr haben sie geschwiegen. Bald läuten sie wieder. Nach einer umfangreichen Sanierung und Kosten von knapp 300 000 Euro sollen die Glocken der Stadtpfarrkirche St. Peter und Paul voraussichtlich an diesem Wochenende ihren Dienst aufnehmen. Zum zweiten Advent schlagen sie dann wieder die Stunden und rufen zum Gottesdienst.

Adrian Sackstrauß vergoldet die Zifferblätter.
Foto: Ulrich Feuerstein | Adrian Sackstrauß vergoldet die Zifferblätter.

Der Grünsfelder Kirchturm ist nach dem Ulmer und dem Freiburger Münster mit 75 Metern der drittgrößte in Baden-Württemberg. Wind und Wetter hatten das imposante Bauwerk an einigen Stellen beschädigt. Es gab Risse in Steinbauteilen, die die Standsicherheit einer Fiale gefährdeten. Seit Mitte August umhüllte den Kirchturm deshalb an allen vier Seiten ein Gerüst der Firma Baumann, das Industriekletterer in luftiger Höhe angebracht hatten.

Die Stadtchronik berichtet von einem heftigen Gewitter

In seinem unteren Teil stammt der Turm mindestens aus dem 14. Jahrhundert. Eine Gemeinderechnung von 1551 enthält den Hinweis, dass er neu mit Schiefer gedeckt worden ist. Zu seiner heutigen Gestalt kam der Turm in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Stadtchronik berichtet von einem heftigen Gewitter am 15. April 1859, bei dem ein Blitz in den Turmhelm einschlug und ihn an zwei Stellen entzündete.

Glühende Schiefersteine flogen herab, und ein kräftiger Wind fachte das Feuer weiter an. Die Funken sprühten und brachten Häuser und Scheunen in Gefahr. Wie durch ein Wunder griff der Brand nicht auf die stark gefährdete Stadt über. 20 Feuerwehren waren zum Zuschauen verurteilt, da sie nicht die entsprechenden Löschgeräte für diese Höhe hatten.

Erst nach einigen Tagen konnte man an die Aufräumungsarbeiten gehen. Die oberen Teile des Mauerwerks, die Uhr und der Glockenstuhl waren zerstört, ebenfalls die sechs wertvollen alten Glocken. Das neue Geläut wurde von der Glockengießerei Rosenlächer in Konstanz gegossen und am 15. April 1862 geweiht.

Beim Wiederaufbau erhöhte man das oberste Stockwerk

Den Turm entwarf der großherzogliche Bauinspektor Haufe von Wertheim in Anlehnung an den Turm der dortigen evangelischen Stadtkirche. Bis zum Brandunglück bestand das Mauerwerk aus vier gleichmäßigen, quadratischen Geschossen. Beim Wiederaufbau erhöhte man das oberste Stockwerk, um mehr Raum für die Uhr und den Glockenstuhl zu gewinnen. Den Abschluss versah man mit einer zierlichen Galerie aus rotem Sandstein im spätgotischen Fischblasenornament.

Barbara von Brunn und Roman Legner betrachten die unterschiedlichen Farbfassungen an der Kirchturmuhr.
Foto: Ulrich Feuerstein | Barbara von Brunn und Roman Legner betrachten die unterschiedlichen Farbfassungen an der Kirchturmuhr.

Seit dieser Zeit überragen acht Fialen die Galerie, je eine in den vier Ecken und je eine in der Mitte der vier Galeriebrüstungen. Die Schallfenster wurden mit spätgotischen, krabbenbesetzten Ziergiebeln, sogenannten Wimpergen besetzt, und rechts und links von Fialen flankiert, die sich direkt an das Turmmauerwerk anlehnen. Ein vergoldeter Knopf und darüber ein kunstvoll geschmiedetes Kreuz krönen die Turmspitze.

Jetzt waren umfangreiche Sanierungsarbeiten nötig

160 Jahre später waren umfangreiche Sanierungsarbeiten nötig geworden. Diplom-Architektin Architektin Barbara von Brunn von der Lurz, von Brunn Architekten-Partnerschaft koordinierte in Absprache mit dem Erzbischöflichen Bauamt die Maßnahmen. Auf dem Turmdach mussten beispielsweise etliche lose Schiefersteine befestigt werden. Schadhafte Stellen, die der Sturm im vergangenen Februar verursacht hatte, besserten André Hartmann und Marco Büttner von der Firma Hammer aus Arnstein Ende September aus. Es war atemberaubend zu sehen, wie die beiden Industriekletterer ohne Gerüst ihrer Arbeit nachgingen. Durch einen zweite neue Ableitung von der Turmspitze bis zum Gelände und neue Tiefenerdungen verbesserten sie den Blitzschutz wesentlich.

Um die Maßwerke kümmerte sich Diplom-Restaurator und Steinmetz Roman Legner aus Bad Mergentheim. Manche Teile waren nur noch durch Draht gesichert. Legner behandelte den roten Sandstein, indem er schadhafte Stellen festigte und verpresste. Einzelne Schalen musste er vollständig abnehmen.

Wasserspeier: Löwe, Hahn, Wolf und Ziegenbock hatten Risse

Spektakulär sind die Wasserspeier an den Ecken der Balustrade. Löwe, Hahn, Wolf und Ziegenbock waren in unterschiedlichem Zustand. Legner schloss einige Risse mit Epoxidharzpunkten, verpresste diese und verschlämmte sie an der Oberfläche. Nicht mehr fest verankerte Steinbauteile der Wimperge wurden gesichert und von der Firma Gebrüder Haupt aus Reichenberg wieder befestigt.

Turmuhr nach der Sanierung. Die untergehende Sonne lässt die goldenen Ziffern vor dem hellblauen Untergrund erstrahlen.
Foto: Ulrich Feuerstein | Turmuhr nach der Sanierung. Die untergehende Sonne lässt die goldenen Ziffern vor dem hellblauen Untergrund erstrahlen.

Gleiches gilt für die Fialen. Auf der an der Ostseite wurden eine abgegangene Krabbe und eine Spitze der Kreuzblume wieder angebracht. Diese hatte Anton Schultz in den 1960er Jahren als junger Ministrant im Gebüsch unter dem Kirchturm entdeckt und aufbewahrt.

"Jede Ziffer ist aus einem Segment mit erhabener Ziffer und profilierter Laibung gemeißelt."
Architektin Barbara von Brunn über die Bauweise der Turmuhr

Eine überraschende Entdeckung machten Legner und von Brunn bei der Turmuhr. Eingehende Analysen brachten vier Farbfassungen zutage: hellblau, schwarzblau, ultramarinblau und mainsandsteinrot. "Der Farbton Blau war zur Bauzeit ein Ausdruck von Reichtum, Stolz und Herrschaftlichkeit", weiß Barbara von Brunn. Blau sei damals eine teure Farbe gewesen, die sich nicht viele Kirchengemeinden haben leisten können. Die Architektin macht auch auf die besondere handwerkliche Kunst der Ziffernblätter aus jeweils zwölf Steinsegmenten aufmerksam. "Jede Ziffer ist aus einem Segment mit erhabener Ziffer und profilierter Laibung gemeißelt."

Bei einem Besichtigungstermin ist Kirchenmaler Adrian Sackstrauß von der Firma Schmidgall Kirchenmaler und Restauratoren aus Bad Mergentheim gerade dabei, die Ziffernblätter zu vergolden. Konzentriert trägt er Schicht für Schicht auf und poliert anschließend alles auf Hochglanz. "Für die Uhrziffern wurden 700 Blatt Feingold mit 24 Karat verarbeitet, das ist das reinste Gold, das der Mensch herstellen kann", erzählt Sackstrauß.

Das Ziffernblatt bekommt eine hellblaue Farbe

In Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege wurde entschieden, dass das Ziffernblatt eine hellblaue Farbe bekommen soll. Damit kehrt man zur ersten Farbfassung zurück. "Die vergoldeten Ziffern haben zur hellblauen Fassung einen besseren Kontrast als zum Mainsandsteinrot", erklärt Barbara von Brunn. Auf dem Blau wirke das Gold wesentlich deutlicher, auch weil Blau die Komplementärfarbe zu gelb ist.

"Die Stadtpfarrkirche ist eine herausragende Sehenswürdigkeit und ein wichtiges Symbol für Grünsfeld"
Joachim Markert, Bürgermeister von Grünsfeld

Den Auftrag für die Läuteanlage und die Instandsetzung der Turmuhr hat die Firma Dürr Turmuhren und Glocken aus Rothenburg ob der Tauber erhalten. Bei der ersten Besichtigung der Uhrzeiger hatte Geschäftsführer Gernot Dürr eine Ahnung, die Ausformungen kamen ihm bekannt vor. Nach Recherchen im Firmenarchiv war die Sache klar: An dieser Turmuhr hatte seine Vorgängerfirma bereits Hand angelegt. Ein historisches Dokument, das Manfred Maag, Kämmerer der Stadt Grünsfeld, im Stadtarchiv gefunden hat, beweist es. Auf der Rechnung der Firma Holzöder aus Rothenburg von 1928 über insgesamt 656 Mark ist unter anderem vermerkt, dass "die vier Zifferblätter gereinigt, mit dunkelblauer Oelfarbe angestrichen und die Ziffern mit Feingold vergoldet" worden sind. Wie es der Zufall will: "Sieben Firmen, die auf Turmuhren und Läuteanlagen spezialisiert sind, haben wir angeschrieben und wieder die gleiche Firma wie 1928 beauftragt", so Barbara von Brunn.

Den Leuten in Grünsfeld ist die Stille aufgefallen

"Was wichtig ist, merkt man erst, wenn es fehlt", sagt Pfarrer Oliver Störr. Der Leiter der Seelsorgeeinheit Grünsfeld-Wittighausen berichtet von vielen Leuten, denen die Stille aufgefallen sei, weil wochenlang keine Glocken geläutet haben. "Glocken gehören zum Leben", betont Störr. Ihr Schweigen sei in Zeiten von Corona noch schmerzlicher gewesen. Zu den Gottesdiensten, die erlaubt waren, konnten sie die Gläubigen nicht einladen.

Fünf Glocken befinden sich im Turm. Zwei davon stammen noch aus dem Jahr 1862, die anderen wurden im Zweiten Weltkrieg abgenommen und 1952 wieder ersetzt. Für die Sanierung dieser zwei aufwendig verzierten historischen Glocken wurde das Kompetenzzentrum für Glocken (ECC-ProBell) der Hochschule Kempten hinzugezogen.

Die Dreier-Glocke war am stärksten beschädigt

Nach Abschluss der Arbeiten steht wieder das volle Geläut zur Verfügung. Darauf ist Störr mächtig gespannt. Seit fünf Jahren ist er in der Seelsorgeeinheit und hat noch nie alle fünf Glocken im Zusammenspiel gehört. "Immer war die mittlere Glocke abgestellt", berichtet er. Die so genannte Dreier-Glocke war am stärksten beschädigt, weil sie normalerweise um zwölf Uhr zum Angelus geläutet hat.

Der Schall verteilt sich künftig besser

Für diejenigen, denen die Glocken zu laut waren, hat Störr eine gute Nachricht. Der Schall verteile sich künftig besser. Die neue Abdielung über der Glockenstube sorge dafür, dass die Glocken nicht mehr in weiter Ferne zu hören sind. Im Innern des Turmes gab es ebenfalls Schäden an der Holzkonstruktion, die von Roland Haun von der Firma Juks Holzbau aus Ochsenfurt in alter zimmermannsmäßiger Handwerkstechnik ertüchtigt wurde.

Das spektakuläre Gerüst in luftiger Höhe.
Foto: Ulrich Feuerstein | Das spektakuläre Gerüst in luftiger Höhe.

"Die Stadtpfarrkirche ist eine herausragende Sehenswürdigkeit und ein wichtiges Symbol für Grünsfeld", betont Joachim Markert. Ausdrücklich begrüßt der Bürgermeister, dass der Turm saniert worden ist, und lobt die Qualität der durchgeführten Maßnahmen. An der Finanzierung hat die Kommune sich auch mit rund 20 000 Euro beteiligt. Traditionell fällt nämlich die Uhr in deren Zuständigkeitsbereich. Die leuchtend blaue Farbe des Chronometers gefällt Markert besonders. "Es ist dasselbe Blau wie im Wappen der Stadt", hat er festgestellt. Seiner Meinung nach ist das ein schönes Symbol für die gute Zusammenarbeit von kirchlicher und politischer Gemeinde in Grünsfeld.  

Stadtpfarrkirche St. Peter und Paul mit renoviertem Turm.
Foto: Ulrich Feuerstein | Stadtpfarrkirche St. Peter und Paul mit renoviertem Turm.
Rechnung von 1928.
Foto: Ulrich Feuerstein | Rechnung von 1928.
 
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