Zahlen lügen nicht, oder doch? Die Opposition sieht hinter dem rasanten Wachstum der Gemeinschaftsschulen den Zwang der Kommunen zur Standortsicherung. Grün-Rot lobt das neue Instrument, um Schülern möglichst viele Abschlüsse in zumutbarer Entfernung zu bieten.
Nach den Sommerferien knacken die Gemeinschaftsschulen im Südwesten die Marke von 200. Mit 81 neuen Genehmigungen wird sich ihre Zahl auf 214 erhöhen. „In Baden-Württemberg entwickelt sich damit bereits im dritten Jahr nach der Einführung der neuen Schulart ein flächendeckendes Netz an Gemeinschaftsschulen“, sagte Kultusminister Andreas Stoch (SPD) am Montag in Stuttgart. Zum Vergleich: Im Südwesten gibt es derzeit je rund 400 Realschulen und Gymnasien.
Unter den genehmigten Schulen sind voraussichtlich zwölf bisherige Realschulen nach vier in der zweiten Bewerbungsrunde. In dieser Schulart registriert Stoch eine zunehmende Offenheit für neue pädagogische Konzepte. Für die nächste Tranche erwartet er mehr Realschulen bei einer leicht rückläufigen Gesamtzahl der Anträge. Vom kommenden Schuljahr an ist im Schulgesetz ein Dialog- und Beteiligungsverfahren vorgesehen, bei der Schulämter und Kommunen den Bedarf vor Ort ermitteln und die Schullandschaft entsprechend planen. Die Landtags-FDP sieht darin eine „als Feigenblatt nachgeschobene regionale Schulentwicklung“, die nicht zur grün-roten Politik des Gehörtwerdens passe.
Der Zuspruch zur Gemeinschaftsschule ist nach Stochs Worten parteiübergreifend bemerkbar: 21 der 81 neuen Schulen befinden sich in Kommunen mit CDU-Bürgermeistern. „Schade, dass die Landes-CDU sich daran kein Beispiel nimmt.“ Auch die Grünen-Bildungsexpertin Sandra Boser findet es erfreulich, dass in den Kommunen parteipolitische Differenzen über die Gemeinschaftsschule in den Hintergrund treten.
Nach Einschätzung des Verbandes Bildung und Erziehung sind die Rathauschefs aber keine „Überzeugungstäter“, sondern vor allem an der Sicherung ihres Schulstandorts interessiert. FDP-Generalsekretär Patrick Meinhardt meinte, immer mehr Gemeinden würden aus finanziellen Gründen gezwungen, sich für die Gemeinschaftsschule zu entscheiden. „Die meisten würden am liebsten ihre Werkrealschule halten, ihre Realschule stärken und mehr Schulverbünde und -kooperationen auf den Weg bringen.“
Dem Ministerium lagen 101 entscheidungsreife Anträge vor. Die Ablehnung von 20 Bewerbungen gründete vor allem auf der nicht erreichten erforderlichen Schülerzahl. Voraussetzung für grünes Licht sind in den Eingangsklassen einer Gemeinschaftsschule mindestens 40 Schüler. Es seien ihm nur ein oder zwei Fälle bekannt, in denen das pädagogische Konzept nicht ausgereicht habe, sagte Stoch.
Ein Gymnasium ist nicht unter den Bewerbern. Stoch: „Das ist kein Wermutstrophen für mich.“ Es gehe nicht um ein Schulschild, sondern darum, dass auch die Gymnasien – sowie die Realschulen – auf eine zunehmend heterogene Schülerschaft reagieren und das individualisierte Lernen in den Vordergrund stellen.
Allerdings hatte der Minister sich kürzlich unzufrieden darüber geäußert, dass der Anteil der Fünftklässler auf Gemeinschaftsschulen mit Gymnasialempfehlung auf zehn Prozent gesunken ist. Zum Gelingen einer Gemeinschaftsschule trage aber erheblich eine gute Durchmischung der Lerngruppen bei, sagte VBE-Landeschef Gerhard Brand.
Die meisten Genehmigungen für Gemeinschaftsschulen, in denen Kinder mit Grundschulempfehlung für die Haupt-/Werkrealschule, die Realschule und das Gymnasium zusammen unterrichtet werden, wurden mit 87 für das laufende Schuljahr 2013/14 erteilt. Im ersten Jahr 2012/13 waren es 41 Starterschulen. Hinzu kommen insgesamt fünf genehmigte private Gemeinschaftsschulen. Für die Anträge zum Schuljahr 2015/16 läuft die Frist im Juni 2014 aus.