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WINNENDEN/STUTTGART
Hinter 110 und 112 steckt ein Schicksal
dpa
 |  aktualisiert: 20.09.2013 14:42 Uhr

Heute kennt ihn jeder, den Notruf 110 oder 112. Vor 40 Jahren jedoch brauchte es einen „aggressiven Dickschädel“, um die lebensrettenden Telefonnummern in Deutschland durchzusetzen.

Am Anfang steht ein Schicksalsschlag. 1969 stirbt Siegfried Steigers Sohn Björn nach einem Unfall. Der Achtjährige hört in Folge eines Schocks zu atmen auf. Fast eine Stunde dauert es, bis endlich ein Rettungswagen eintrifft. Die Hilfe kommt zu spät. Damals schwört sich sein Vater aus Winnenden bei Stuttgart, das deutsche Rettungssystem zu verbessern. Rund vier Jahre später hat er die Notrufnummern 110 und 112 durchgeboxt. Am Freitag wurden die dreistelligen Lebensretter 40 Jahre alt. Deutschlandweit rufen täglich mehrere zehntausend Menschen unter den Nummern Hilfe.

Sturheit zahlt sich aus

1969 gibt es noch keine Notrufsäulen oder gar Handys. Einheitliche Notrufnummern existieren nur in wenigen Großstädten. Wer Hilfe braucht, muss meist die Nummer der nächsten Polizei oder Feuerwehr wissen – oder im Telefonbuch nachschlagen. Steiger will Abhilfe schaffen. Seine Hartnäckigkeit wird schnell legendär. Schon der damalige Bundesverkehrsminister Georg Leber (SPD, 1966-1972) wird laut der Steiger-Stiftung auf einem Zettel vor ihm gewarnt: „Vorsicht! Steiger ist sehr aggressiv.“

Dass ein zentraler Notruf zunächst als zu teuer gilt, passt dem Gründer der Björn-Steiger-Stiftung gar nicht. Als er mal konkret nachfragt, heißt es nur „nicht finanzierbar“. Deshalb erkundigt sich Steiger selbst bei der Deutschen Post, was es kosten würde, in allen Ortsnetzen des Regierungsbezirks Nordwürttemberg die Notrufnummern 110 und 112 einzurichten. „Eine Stunde später hatte ich den Preis“, erinnert er sich. 387 000 D-Mark (rund 197 869 Euro) fallen an. Bei vier Millionen Einwohnern sind das etwa zehn Pfennig pro Person.

Klinken putzen

Steiger rechnet: Pro Kreis muss er rund 20 000 Mark eintreiben. Also geht er Klinken putzen. Meist gibt es schon bei der 110 ein spontanes „Ja“. Wer zögert, dem verspricht er die 112 für die Feuerwehr kostenlos dazu. Am Ende ziehen alle Kreise mit.

Das reicht Steiger nicht: Nur ein bundesweites System macht Sinn, ist er überzeugt. Deshalb klagt er gegen das Land Baden-Württemberg auf Einführung der Nummern. Das geht zwar schief, doch die Medien werden aufmerksam. Der Druck wächst. Am 20. September 1973 ruft Bundespostminister Horst Ehmke (SPD, 1972-74) an: „Ich darf Ihnen sagen: Ihr Dickschädel hat sich durchgesetzt. Wir haben den Notruf beschlossen“, zitiert ihn der 83 Jahre alte Stiftungsgründer. Heute gilt die 112 sogar EU-weit. Da die Rettungsleitstellen regional geführt werden, gibt es kaum Statistiken zu Notrufen. Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) hat zuletzt 2009 Zahlen erhoben. Demnach gingen an einem Werktag bundesweit rund 35 000 rettungsdienstliche Anrufe bei den Leitstellen ein. Am Wochenende waren es im Schnitt 25 000 pro Tag. Knapp die Hälfte wurde vom Team als Notruf eingestuft. Heute dürften es noch mehr sein, denn die Zahl der Rettungseinsätze steigt seit Jahren.

 
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