
Der Männergesangverein "Liedertafel" feiert seinen 100. Geburtstag. Es war der praktische Arzt Dr. Keller, der am 25. Januar 1922 zur Gründungsversammlung in das Gasthaus "Zum Bären" einlud und mit "markigen Worten" die Bedeutung des Liedes hervorhob. Noch am selben Abend schritt man zur Gründung des Gesangvereins "Liedertafel" und wählte den ersten Vorstand. Dazu gehörten Dr. Keller als Vorsitzender, Bäckermeister Emil Gengel als dessen Stellvertreter, Georg Feldle als Schriftführer, Andreas Zobel als Kassierer und Hauptlehrer Hans Rothengast als Dirigent.
Nach Paragraf 1 der Statuten der "Liedertafel" war Zweck des Vereins die "Pflege des deutschen Männergesangs sowie gesellige Unterhaltung". Es wurde auch betont, dass der Verein "in politischer Beziehung vollständig neutral" sei. Die Politik warf dennoch immer wieder ihren Schatten auf den noch jungen Verein.
Geldstrafen für unentschuldigtes Fehlen
Wolfgang Paetow, Vorstandsmitglied des befreundeten Tauberbischofsheimer "Liederkranzes", hat bei der Recherche einiges über die Geschichte des Vereins herausgefunden. So spiegelt das Protokollbuch getreulich den Verlauf der Inflation wider. Am 6. November 1922 wurde der Beitrag der passiven Mitglieder auf zehn Mark festgelegt, am 21. Februar des folgenden Jahres auf 50 Mark erhöht, und zum Fest der Fahnenweihe im Sommer 1923 sollte jeder Festplatzbesucher 500 Mark Eintritt bezahlen. Nach der Währungsreform schließlich wurde der Vierteljahresbeitrag am 23. Januar 1924 auf eine halbe Rentenmark festgesetzt.
Die Sitten waren damals ziemlich streng. Einstimmig wurde 1927 beschlossen, dass jeder, der während der Gesangsprobe den Raum verlässt, 50 Pfennig zu zahlen habe. 1930 heißt es im Protokoll: "Während des Singens hat nur der Dirigent das Recht zur Kritik. Zuwiderhandelnde werden mit 50 Pfg. bestraft." An dem im Juni 1931 in Wertheim stattfindenden Liedertag durften nur jene Sänger teilnehmen, die weniger als viermal die Singstunde versäumt hatten. Jedes unentschuldigte Fehlen kostete zehn Pfennig.
Fackelzug während der NS-Zeit
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten wirkte sich auch auf den Männergesangverein aus. Das Protokollbuch berichtet von der gedrückten Stimmung, die bei der Generalversammlung am 15. März 1933 herrschte. Sechs Tage später beteiligten sich die Sänger an dem Fackelzug anlässlich des neugewählten Reichstages und der anschließenden "nationalen Feier" im "Bären". Mit der von der Satzung geforderten, politischen Neutralität war das eigentlich nicht zu vereinbaren, noch viel weniger die Beteiligung am Sonnwendfest auf dem Schalksberg am 24, Juni 1933.
Der Vereinsvorsitzende nannte sich künftig "Führer", auch wenn 1938 die alte Bezeichnung wieder eingeführt wurde. Im Mitgliederverzeichnis von 1936 fehlen die vier Jahre zuvor noch als passive Mitglieder aufgelisteten jüdischen Bürger Samson Rothschild, Hermann Rosenbaum und Alfred Rosenbaum. Von 1939 bis 1946 ruhte das Vereinsleben.
Jubiläumsfeier in der Stadthalle
Hauptlehrer Karl Günther, der 1938 den Dirigentenstab übernommen hatte, leitete im Januar 1946 wieder eine Probe. Recht schnell gewann der Verein wieder Zulauf und hatte bald mit 50 aktiven und 59 passiven Mitgliedern den Vorkriegsstand übertroffen. Seit Juni 1985 besitzen die Sänger ein eigenes Vereinsheim in der Zehntscheune. Im selben Jahr nahm auch Michael Schlör die Dirigententätigkeit bei der "Liedertafel" auf, die er fast 30 Jahre innehatte.
Die vergangenen Jahre waren nicht einfach für den Gesangsverein. Mit Andrea Müller-Köhler konnte eine neue, engagierte Chorleiterin gewonnen werden. Doch die staatlichen Beschränkungen während der Corona-Pandemie brachten das Vereinsleben zeitweise zum Erliegen.
Johann Rackl, mittlerweile wieder Vorsitzender, ist es ein Anliegen, den 100. Geburtstag allen Widrigkeiten zum Trotz festlich zu begehen. Zum Jubiläum veranstaltet der Verein am Samstag, 9. Juli, in der Stadthalle einen Liederabend mit Ehrungen. Neben dem Jubiläumsverein gestalten der Männergesangverein "Liederkranz" Tauberbischofsheim, der Männergesangverein "Eintracht" Krensheim und der Katholische Kirchenchor Grünsfeld das Programm mit. Beginn ist um 20 Uhr. Der Eintritt ist frei.