Dieser Weg war kein leichter für sie: 2700 Kilometer legte Ulrike Gall in 116 Tagen zurück. Die Gommersdorferin hat den Jakobsweg absolviert. Von ihrer Haustür bis zur Kathedrale in Santiago de Compostela und zum Kap Finsterre war sie per pedes unterwegs. 24 Kilometer pro Tag im Durchschnitt. Von ihren Erfahrungen und Begegnungen berichtete sie im Rienecksaal in Grünsfeld.
"Wir sind alle Pilger", meinte Cornelia Renk. Die Leiterin des Familienzentrums stimmte auf den Vortrag ein. Wer sich auf einen Pilgerweg mache, habe ein besonders Ziel vor Augen und stelle sich auf bereichernde Kontakte ein. Beides sind nach Renks Angaben Aspekte, die auch auf das Familienzentrum zutreffen. "Wir wollen ein Ort der Begegnung sein, an dem die unterschiedlichsten Menschen miteinander ins Gespräch kommen." Die Erfahrungen während Corona haben Renk in dieser Auffassung bestärkt. "Nach den Einschränkungen ist die Sehnsucht nach Kontakten und persönlichen Begegnungen besonders groß."
Die Motive, das Grab des Apostels Jakobus aufzusuchen, sind vielfältig. Bei Ulrike Gall waren es gesundheitliche Probleme. Weil die Krankenkasse keine Kur genehmigte, wollte sie nur noch fort. Der Mutter zweier Kinder war klar: "Wenn ich zuhause bleibe, drehe ich durch." Am Ostersonntag 2016 um 9 Uhr war es dann soweit. "Ich wählte dieses Datum bewusst als Start meines persönlichen Auferstehungsweges", so die Mittfünfzigerin.
Einen Winter Zeit zur Planung
Ulrike Gall war damals noch kein Profi in Sachen Pilgern. Bei Bruder Klaus in der Schweiz sei sie schon mehrfach gewesen. Diese geführten Touren bezeichnete sie aber als "pilgern light". Einen Winter nahm sie sich Zeit zur Planung. "Als ich losgelaufen bin, wusste ich nicht, ob ich überhaupt mein Ziel erreiche", so Gall. Bedenken, als Frau allein unterwegs zu sein, hatte sie nicht. Spätestens seit Hape Kerkelings Bestseller "Ich bin dann mal weg" sei die Beliebtheit des Jakobswegs gerade unter deutschen Pilgern enorm gewachsen. "Der gut gekennzeichnete und vielbegangene Weg hat mir ein großes Sicherheitsgefühl vermittelt."
Über den Limesweg erreichte Gall bei Murrhardt die klassische Route. Nach zwei Wochen hatte sie die französische Grenze erreicht. "Dann ging ich acht Wochen lang durch die wunderschönen Departements Frankreichs und überquerte mit Freude, Glück, aber auch Heimweh die Pyrenäen, um in weiteren sechs Wochen den spanischen Hauptweg zu pilgern."
"Das Gehen befreite"
Die Erfahrungen und Begegnungen auf dem Weg haben Ulrike Gall geprägt. "Das Gehen befreite, öffnete im wahrsten Sinne des Wortes immer wieder meine Horizonte, ich lief mich frei und konnte Schritt für Schritt Bedrückendes zurücklassen." Ihr "psychischer Rucksack" sei immer leichter geworden, in ihren "Geh-Danken" habe sie gespürt, auf dem richtigen Weg zu sein.
Ulrike Gall hat während der Pilgerreise ein Tagebuch geführt. Daraus entstand ein sehr persönliches Buch mit dem beziehungsreichen Titel: "Ich gehe, falle, stehe auf! – Von einer, die auszog, das Pilgern zu lernen". Das eine oder andere Erlebnis zitierte sie daraus beim Vortrag im Rienecksaal und machte ihn dadurch sehr anschaulich. Die zahlreichen – meist weiblichen Zuhörer – waren sehr angetan. Etliche von ihnen, das war den Reaktionen zu entnehmen, waren selber schon zum Grab des Apostels Jakobus unterwegs, andere nutzten die Veranstaltung, um Tipps für die eigene Planung zu bekommen. Kein Zweifel: Der Jakobsweg fasziniert noch immer.