Das grün-rote Reformprojekt Gemeinschaftsschule sorgt weiter für Diskussionen. Der Städtetag fordert Änderungen und fragt: Stirbt die Realschule aus?
Der Städtetag will auch Realschulen den Weg zur Gemeinschaftsschule erleichtern. „Damit nicht nur Haupt- und Werkrealschulen zu Gemeinschaftsschulen werden, müssen auch die Realschulen Anreize erhalten, sich in diese Richtung zu entwickeln“, sagte Schulexperte Norbert Brugger der Nachrichtenagentur dpa in Stuttgart. Sonst bleibe die Hierarchie mit der Gemeinschaftsschule als letztem Glied bestehen. Unter den 40 Starterschulen für die neue Schulart sind nur ein Gymnasium und eine Realschule in Tübingen.
Ganztagsbetrieb Diskussionspunkt
„Ein unüberwindbarer Stein auf dem Weg zur Gemeinschaftsschule ist für viele Realschulen der verpflichtende Ganztagsbetrieb.“ Den lehnten etliche Realschuleltern für ihre Kinder ab, betonte Brugger. Das Kultusministerium und die Grünen erteilten dem Anliegen postwendend eine Abfuhr: „Die verpflichtende Ganztagsschule ist entscheidend für die pädagogische Qualität der Gemeinschaftsschule“, sagte ein Ministeriumssprecher. Auch die Grünen-Bildungsexpertin Sandra Boser nannte den Ganztagsbetrieb einen unverzichtbaren Bestandteil des pädagogischen Konzeptes.
Interesse wächst
Aus Sicht des Kultusministeriums wächst das Interesse an der neuen Schulart immens. Man rechne damit, dass Anfang Oktober rund 100 weitere Gemeinschaftsschulen beantragt werden; voraussichtlich seien darunter auch Realschulen.
Brugger sagte, Realschulen als „De-Facto-Gemeinschaftsschulen“ mit guten Haupt- und schwächeren Gymnasialschülern müssten flexible Regelungen erhalten. So müssten nach einer Orientierungsstufe in den Klassen fünf und sechs auch leistungsdifferenzierte – statt ausschließlich heterogene – Lerngruppen möglich sein. „Wie in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sollten Gemeinschaftsschulen in einer Übergangsphase den Umfang des gemeinsamen Unterrichts selbst bestimmen können.“ Eine Umorientierung der Realschulen sei notwendig, um im Wettbewerb bestehen zu können.
In zehn Jahren existiere voraussichtlich keine einzige der derzeit noch rund 1000 Haupt- und Werkrealschulen mehr, prognostizierte Brugger. In Tübingen etwa gebe es bereits zum Schuljahr 2012/13 keine Haupt- oder Werkrealschule mehr. Je nachdem wie sich die Gemeinschaftsschule entwickle, werde auch die klassische Realschule in zehn Jahren der Vergangenheit angehören.
Der Schulexperte der CDU-Landtagsfraktion, Georg Wacker, sieht das anders. Die Realschule leiste hervorragende Arbeit und sei daher bei Eltern, Schülern und Betrieben eine hoch anerkannte Schulart, die Bestand haben werde. Vielmehr sehe er die Zukunft der Gemeinschaftsschule trüb. Sie stehe in harter Konkurrenz zu Realschulen und Gymnasien und sei mit dem Stigma der „drittbesten Schule“ belegt.
Verbundschule als Lösung?
Der Städtetag fordert, den Zusammenschluss von kleinen Werkreal- und Realschulen unter dem Dach einer Verbundschule zu ermöglichen. „In dieser Hinsicht müssten Verbundschulen den Gemeinschaftsschulen gleichgestellt werden – denn Letztere dürfen zweizügig sein.“ Bislang können sich laut Brugger nur dreizügige Verbundschulen bilden, es sei denn, es handelt sich um Privatschulen. „Eine solche Vorstufe zur Gemeinschaftsschule wird von vielen Eltern als Option gewünscht.“
Verständnis von der FDP
Von der FDP im Landtag kam Verständnis für die Forderungen des Städtetages: Die Entscheidungsträger vor Ort bräuchten mehr Gestaltungsfreiheit, sagte der FDP-Bildungsexperte Timm Kern: „Wir Liberalen kritisieren an der grün-roten Landesregierung, dass die Gemeinden die Gemeinschaftsschulen nur als schulorganisatorisch-pädagogisches Gesamtpaket übernehmen können, ganz nach dem Motto „Vogel friss oder stirb“.
Auch für die SPD-Fraktion kann es auf dem Weg zur Gemeinschaftsschule Zwischenschritte geben. „Verbundschulen können dann sinnvoll sein, wenn vor Ort die Gegebenheiten dafür vorliegen“, sagte der SPD-Bildungsexperte Christoph Bayer.