
Bei der Sichtung seiner geschichtlichen Sammlungen stieß Edgar Weinmann auf eine Weihnachts-Postkarte, die er 1985 von Familie Kuhn erhalten hatte. Auf der Vorderseite war ein sorgfältig aufgeklebtes Blatt mit einem von Rudolf Kuhn selbstverfassten Gedicht zu sehen, die Rückseite enthält die rührenden Wünsche seiner Frau Heidi an Familie Weinmann. Bei näherer Recherche stellte sich heraus, dass Rudolf Kuhn dieses Gedicht schon 1942 geschrieben hatte.
Damals befand sich der am 1. Juni 1921 in Grünsfeld geborene Kuhn in einem Lazarett in Kohlnikowa in Russland. Hier kurierte er eine Verletzung aus, die er im Russlandfeldzug während des 2. Weltkriegs erlitten hatte. Nach seiner Schulzeit in der Volksschule Grünsfeld und der höheren Handelsschule in Tauberbischofsheim arbeitete er bei der Firma Büttner Steinwerke in Grünsfeld, bevor er 1940 zum Reichsarbeitsdienst einberufen wurde.
Danach erfolgte die Einberufung zur Wehrmacht mit einer kurzen Grundausbildung in Zirndorf. Von dort ging es in einem Luftwaffennachrichtendienstregiment nach Rumänien und dann nach Russland. Hier wurde er 1942 verletzt und eben ins Lazarett eingeliefert. Doch damit war der Krieg für Kuhn nicht vorbei. Er musste in Ostpreußen und Norwegen weiterkämpfen. Bei Kriegsende wurde er interniert und nach Bretzenheim in Rheinland-Pfalz gebracht. Im Jahr 1946 gelang ihm die Flucht aus französischer Kriegsgefangenschaft nach Innsbruck und von da aus nach Garmisch-Partenkirchen.

Daraufhin gelang es ihm nach Grünsfeld zurückzukehren und er begann in Wertheim bei der Firma Köhler zu arbeiten, bevor er 1948 einen kleinen Kolonialwarenladen in Grünsfeld eröffnete. Im Jahr 1969 zog es ihn nochmal zur Bundeswehr zum 12. Instandsetzungsbatallion nach Tauberbischofsheim neben der Arbeit im Geschäft. Damit war aber 1970 Schluss und Kuhn genoss daraufhin seinen Lebensabend.
Poesie in einem Buch festgehalten

Edgar Weinmann erinnert sich noch gut an den zehn Jahre älteren Rudolf Kuhn und pflegt nach wie vor eine enge Freundschaft mit der Familie. Rudolf Kuhn hat sein ganzes Leben lang Gedichte und Verse verfasst und einige auch in einem kleinen Büchlein festgehalten. Kunstvoll sind die einzelnen Seiten ausgestaltet, jedes mit einer passenden Zeichnung oder einem Bild.
"Das Gedicht rührt mich noch immer an", gibt Weinmann zu, als er die Postkarte wieder in der Hand hält. Vor allem die Sehnsucht nach der Heimatstadt Grünsfeld und seiner Familie könne man sehr gut herauslesen, findet Weinmann. Doch auch die Sehnsucht, dass der Krieg bald aufhören möge. "Diese doppelte Sehnsucht ist ganz klar erkennbar.". Für Rudolf Kuhn erfüllte sich sein Wunsch nach einem Ende des Krieges wenn auch nicht sofort, so doch wenige Jahre später.
Erinnerungen leben in Geschichten weiter
Trotzdem, so weiß Weinmann, hat der Krieg Rudolf Kuhn verändert. Die vielen Begegnungen mit dem Tod und psychischer Belastung haben eine ganze Generation verändert, ist sich Weinmann sicher. "Trotzdem haben viele Menschen den Kopf nicht in den Sand gesteckt, sondern haben angepackt und das Deutschland, wie wir es heute kennen, wieder aufgebaut". Rudolf Kuhn, der im nächsten Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, starb im Jahr 1993. Doch die Erinnerung an ihn lebt auch in seinen Gedichten fort.
