Das Sakramentshäuschen aus dem 13. Jahrhundert hängt unscheinbar im nördlichen Flügel der Pfarrkirche Peter und Paul in Grünsfeld. Fast niemand weiß mehr, was es für eine Geschichte hinter sich hat. Nun kommt wieder Licht ins Dunkel, denn vor kurzem tauchte ein weiteres Stück dieses einst reich verzierten Schmuckstücks nach 50 Jahren wieder auf. Was war passiert?
Bei Sanierungsarbeiten in den 1970er Jahren fanden Bauarbeiter das bedeutende Stück und informierten sofort den damaligen Vorsitzenden des Kulturvereins. Das Sakramentshäuschen lag im Boden eingegraben, wahrscheinlich seit dem späten 17. Jahrhundert. Es wird vermutet, dass das Sakramentshäuschen beim Umbau der Kirche in eine barocke Form störte, doch 50 Jahre später konnte es nicht mehr im Ganzen, sondern nur noch in Bruchstücken geborgen werden.
Bruchstücke wurden für Schutt gehalten
Vorsichtig wurden die Steinreste damals aus dem Boden geholt. Da der Fund am späten Nachmittag zutage trat, wollten die Verantwortlichen die Steine am nächsten Tag retten und für die Nachwelt erhalten. Das Problem: Als der Vorsitzende auf der Baustelle erschien, waren die Steine weg. Sie wurden für Schutt gehalten und seien entsorgt worden. Trotzdem versuchte der Vorsitzende in mühevoller Kleinarbeit alle Bruchstücke aus dem Schutt aufzuklauben und für die Nachwelt zu erhalten, jedoch fehlten einige Steine des gotischen Sakramentshäuschens. Die ursprünglichen drei "Fialen" fehlten sogar komplett.
Bei einer Fiale handelt es sich um ein typisch gotisches Bauelement. Der Name leitet sich vom altfranzösischen "fialle" ab, was so viel bedeutet wie "Töchterchen". Bis heute sind Fialen an gotischen Kirchen auf den Strebepfeilern an Langhaus oder Chor erkennbar, befinden sich aber auch an den giebelartigen Bekrönungen von Portalen und Fenstern. Fialen bestehen aus drei Teilen: dem Leib, dem Helm und der Bekrönung.
Meist hat der Leib vier oder acht Seiten, hat an jeder Seite einen Giebel und ist reich verziert. Auf dem Leib sitzt normalerweise als spitz zulaufende Pyramide der Helm, reich verziert an den Kanten mit kriechenden Krabben oder pflanzlichen Formen, die sich bis zum Gipfel, dem Helm, fortsetzen. Dieser Helm ist überwiegend als Kreuzblume behauen und bildet ein stilisiertes Blattgebilde.
Fundstück wird im Pfarrhaus in Grünsfeld aufbewahrt
Fast alle gotischen Kirchen haben solche Fialen an der Außenseite, aber auch im Kircheninneren, so wie auch das Sakramentshäuschen in Grünsfeld früher. In dem Sakramentshäuschen werden Hostien und Messkelch aufbewahrt, weshalb es eine hohe kirchliche Bedeutung hat. Schon immer wurden solche Häuschen besonders aufwendig verziert – in der Gotik eben auch mit Fialen – wie man sie an den Außenseiten der Kirchen findet.
Lange Zeit blieben die Fialen der Grünsfelder Kirche verschollen, nun tauchte eine davon in Lauda-Königshofen wieder auf. Die aus feinem Sandstein vom Main gearbeiteten Formen sind noch heute zu erkennen, auch wenn der Zahn der Zeit an dem Schmuckstück genagt hat. Zukünftig soll das Fundstück im Pfarrhaus in Grünsfeld einen würdigen Platz finden, eine Rückführung in die Pfarrkirche ist nicht vorgesehen. Das könnte sich allerdings ändern, wenn auch noch die anderen beiden Fialen auftauchen, die nach wie vor verschollen sind.
In Grünsfeld ist die Freude darüber, dass wenigstens eines der Stücke aufgrund eines glücklichen Zufalls in seine ursprüngliche Heimat zurückgefunden hat, groß. Wer das Stück damals entwendet hat, lässt sich heute nicht mehr klären. Zeitzeugen sind längst verstorben und die Tat bereits verjährt. Dies ist bei vielen Stücken, die beim Wiederaufbau der Städte und Gemeinden nach dem Zweiten Weltkrieg oder bei Sanierungen historischer Gebäuden verschwanden, der Fall.