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MAIN-TAUBER-KREIS
Fehlende Anerkennung ist ein Problem
Bearbeitet von Ernst Lauterbach
 |  aktualisiert: 21.10.2016 03:35 Uhr

„Die Pflege eines Angehörigen darf nicht zur alles dominierenden Erfahrung werden, es besteht die Gefahr, dass man daran kaputt geht“, sagt Jürgen Schanzenbach. Der 55-jährige weiß, worüber er spricht, denn als Leiter des CompetenceCentrums Pflege der AOK Heilbronn-Franken ist er gemeinsam mit rund 40 Kollegen für gut 20 000 Pflegebedürftige in der Region verantwortlich. Fast die Hälfte von ihnen werden zuhause durch Familienmitglieder betreut, heißt es jetzt in einer Pressemitteilung.

Rund 22 000 Erwerbstätige aus dem Main-Tauber-Kreis waren oder sind nach Schätzungen der Gesundheitskasse mit der Doppelbelastung von Pflege und Beruf konfrontiert. In Heilbronn-Franken insgesamt sind etwa 150 000 Personen betroffen. Diese Zahl entspricht etwa 30 Prozent der arbeitenden Bevölkerung.

Häufigster Grund für das Engagement ist, laut einer repräsentativen Umfrage des Forsa-Instituts, die enge Beziehung zum Pflegebedürftigen. Dies trifft für 84 Prozent der Befragten zu. Dabei handeln 52 Prozent aus Pflichtgefühl, 48 Prozent entsprechen dem Wunsch der verwandten Person.

Doch diese Motive sind nicht immer ausreichend, um den Spagat von Pflege und Beruf zu bewältigen. „Die fehlende Anerkennung durch das private und berufliche Umfeld ist für viele ein großes Problem“, weiß die Sozialpädagogin Waltraud Joachim, die den Sozialen Dienst der AOK Heilbronn-Franken leitet. Wenn die Herausforderung zur Überforderung wird, nimmt die Anfälligkeit für Krankheiten zu, sind depressive und gereizte Stimmungslagen und Schlaflosigkeit typisch. Noch schlimmer wird es oft, wenn außerdem noch finanzielle Probleme hinzukommen.

In diesen Fällen steht der Soziale Dienst der AOK Heilbronn-Franken den Betroffenen zur Seite. Die hier tätigen Sozialpädagogen sind qualifizierte Pflegeberater. Sie besuchen die Akteure in ihrem häuslichen Umfeld. Sie beraten in rechtlichen und finanziellen Fragen, geben Orientierung bei schwierigen Entscheidungen, zeigen Entlastungangebote auf. Eine stundenweise Unterbringung in einer Einrichtung für Tagespflege etwa oder eine Haushaltshilfe können Freiräume schaffen.

Gemeinsam mit allen Betroffenen entwickeln sie Lösungen. „Pflegende Angehörige müssen lernen selbstfürsorglich zu sein, nicht alles allein schultern zu wollen und Entlastungsangebote auch annehmen“, erklärt Waltraud Joachim.

Es muss allerdings gar nicht erst soweit kommen, unterstreicht Jürgen Schanzenbach. „Modelle wie etwa die Verhinderungs- oder Kurzzeitpflege, damit pflegende Angehörige auch mal Urlaub von der Pflege nehmen können, sollten öfter genutzt werden“, rät der AOK-Pflegexperte. Wenn die Pflege erstmals organisiert werden muss, besteht seiner Erfahrung nach ein intensiver Kontakt zur Pflegeversicherung und ihren Fachleuten.

In den Jahren danach wird die Beratung sehr viel seltener genutzt. „Gerade dann aber, wenn man Pflege und Beruf länger schultert, sollte man sich bei uns Rat holen“, so Jürgen Schanzenbach, „damit diese verdienstvolle Aufgabe nicht zur unerträglichen Belastung wird.“

Entlastungsmöglichkeiten

Kurze Erläuterung der im Artikel erwähnten Entlastungsmöglichkeiten. Die Angaben beziehen auf die Situation ab dem 1. Januar 2017.

Tages- und Nachtpflege

Kann häusliche Pflege nicht ausreichend sichergestellt werden, haben Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 Anspruch auf teilstationäre Pflege in Einrichtungen der Tages- und Nachtpflege. Teilstationäre Pflege kann so die häusliche Pflege stärken und ergänzen und die Pflegeperson entlasten.

Verhinderungspflege

Kann die Pflegeperson den Pflegebedürftigen wegen Urlaub, Krankheit oder aus anderen Gründen vorübergehend nicht selbst betreuen, übernimmt die Pflegeversicherung die nachgewiesenen Kosten bis zu einer Höhe von 1612 Euro für eine notwendige Verhinderungspflege bis zu sechs Wochen lang im Kalenderjahr. Voraussetzung ist, dass der Pflegebedürftige mindestens in Pflegegrad 2 eingestuft ist und vor der erstmaligen Verhinderung bereits sechs Wochen lang in der häuslichen Umgebung gepflegt wurde.

Kurzzeitpflege

Reichen zeitweise die häusliche Pflege oder die Aufnahme in eine Einrichtung der Tages- und Nachtpflege nicht aus, können Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 vorübergehend in eine vollstationäre Einrichtung aufgenommen werden. Kurzzeitpflege kann bis zu acht Wochen und bis zu einem Wert von 1612 Euro beansprucht werden.

 
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