
Es ist ein Szenario, wie es sich niemand vorstellen mag: Nach einem erfüllten Arbeitsleben sind die Knochen alt und schwer geworden. Viele andere Wehwehchen kommen dazu. Die heilenden und schmerzlindernden Medikamente gibt es – natürlich – in der Apotheke. Was aber, wenn die nächste Apotheke 30, 40 oder gar 50 Kilometer weit entfernt ist? Dann wird auch dieser Botengang zur Tortur. Ohne Auto vielleicht sogar zur stundenlangen Odyssee mit dem Bus.
Ein Hirngespinst? Sicher nicht. Das Apothekensterben hat bereits begonnen. Schon jetzt schließen in Deutschland pro Woche sechs Apotheken. Hauptgrund ist ihre prekäre finanzielle Situation. Die jetzt geplante Honorarerhöhung von 25 Cent je Medizin-Packung, übrigens die erste seit 2004, ist den Apothekern viel zu wenig.
Der Landesapothekerverband Baden-Württemberg (LAV), der rund 90 Prozent der knapp 2700 Apotheken im Südwesten vertritt, geht deshalb auf die Barrikaden und kündigt schon für die nächsten Tage regional konzentrierte Warnstreiks an. Auf Nachfrage erfuhr die Main–Post: „Für den Streik haben wir gerade den Main-Tauber-Kreis ins Visier genommen“, bestätigte Frank Eickmann. In Badisch-Sibirien, so Eickmann wörtlich, ließen sich die Folgen geschlossener Apotheken am besten zeigen. Er erklärt auch, warum der Verband und die Apotheker so erbost sind: „Dieses Angebot kommt einer Steigerung von nicht einmal drei Prozent gleich und liegt damit sogar noch unter der Inflation.“
Streik ab Anfang September
Zwar stehen voraussichtlich in dieser oder nächster Woche noch einmal Spitzengespräche zwischen der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände und Wirtschaftsminister Philipp Rösler an, sollte es dabei allerdings zu keiner zufriedenstellenden Lösung für die Apotheker kommen, wird der Landesapothekerverband zum Streik aufrufen. Wenn es so kommt, sind zunächst Schließungen von einigen Stunden geplant. LAV-Präsident Fritz Becker schloss aber auch länger andauernde Arbeitsniederlegungen nicht aus. Der Notdienst bleibt davon unberührt. Bei akuten Beschwerden bekommen Patienten ihre Medikamente also trotzdem. „Wir wollen mit dem Streik zeigen, wenn Apotheken auf dem Land nicht durchhalten können, bekommen wir eine Versorgungslücke“, schildert Eickmann. Ein Beispiel für die jetzt schon nicht mehr optimale Versorgungslage ist der östliche Main-Tauber-Kreis. Die Achatius-Apotheke in Grünsfeld deckt auch den Bedarf für die Gemeinden Grünsfeld, Wittighausen und Großrinderfeld ab. Eine adäquate Anpassung der Honorare soll das Apotheken-Sterben zumindest abmildern. „Die Center-Apotheken in Großstädten wird es immer geben“, sagt Michael Zimpel, „aber für die kleinen Apotheken auf dem Land sehe ich schwarz“, zeichnet der dienstälteste Apotheker aus Bad Mergentheim und Inhaber der Marien-Apotheke ein düsteres Bild.
„Nach Berechnungen der Steuerberatungsgesellschaft Treuhand Hannover verdient ein Apotheker im Durchschnitt mittlerweile weniger als eine Verkäuferin“, erläutert Eickmann. Und das bei Wochenarbeitszeiten von teilweise über 60 Stunden. Dieses Bild bestätigt auch Zimpel. „Viele Kollegen leben derzeit von ihrem Erspartem“, sagt der Apotheker, der schon so manche Laune wechselnder Gesundheitsminister durchlebt hat. Zimpel macht keinen Hehl daraus, dass er stinksauer ist: „Wenn es nach mir ginge, würden alle Apotheken deutschlandweit eine Woche schließen.“ Ähnlich sieht es seine Tauberbischofsheimer Kollegin Lioba Zäuner. Die Apothekerin ist Inhaberin der Franken-Apotheke und hat schon seit längerem mit Gewinneinbußen und sinkenden Roherträgen zu kämpfen.
Aufklärung durch Gespräche
Als Grund führt sie den gestiegenen Personalbedarf durch immer größere Dokumentationspflicht und die Rabattverträge der Krankenkassen an. Die Rabattverträge der knapp 180 verschiedenen Krankenversicherungen verpflichten die Apotheker dazu, dem Patienten je nach Krankenkasse die Medizin eines bestimmten Herstellers mit dem gleichen Wirkstoff zu geben. „Ein gigantischer Mehraufwand“, so Eickmann. Dazu kämen die verschlechterten Großhandelskonditionen. „Ich bin zu allem bereit. Egal, ob Streik, Protest oder Warnstreiks“, gibt sich die Apothekerin kampfeslustig.
Einen anderen Ansatz verfolgt Leo Köhler, Inhaber der O'Vita-Stadt-Apotheke in Lauda. Grundsätzlich gibt er seinen beiden Kollegen und dem LAV zwar Recht, und betrachtet die angekündigte Honorarerhöhung um 25 Cent als „Lachnummer“, Warnstreiks seien für ihn aber das falsche Mittel. „Das verärgert nur die Kundschaft.“ Durch persönliche Gespräche wolle er die Kunden persönlich aufklären und ins Boot holen.
Hintergrund
Die Honorarsätze für Apotheker werden gemeinsam vom Bundesgesundheitsministerium und dem Bundeswirtschaftsministerium festgelegt. Seit 2004 erhalten Apotheken pro ausgegebenem Medikament ein Honorar von 8,10 Euro, wobei die Krankenkassen davon noch einmal einen Rabatt von 2,05 Euro einbehalten.
Nach acht Jahren haben die Apotheker nun erstmals Aussicht auf steigende Honorarsätze. Die Politik will den Apotheken nun eine Erhöhung von 25 Cent je Packung zugestehen.
Laut Landesapothekerverband Baden-Württemberg entspricht das einer Steigerung um nicht einmal drei Prozent. Um die Einbußen durch Inflation, größeren Arbeitsaufwand und erhöhten Personalbedarf auszugleichen, wäre laut LAV eine Erhöhung um 1,04 Euro auf 9,14 Euro nötig. Diesen Betrag fordert der LAV auch.
Übrigens: trotz Bioäquivalenzstudien ist Generikum nicht gleich Generikum. Es besteht keine Konvention bezüglich der Auswahl der Referenz.