An der virtuellen Veranstaltung "Familienpolitik unter Corona" der Grünen Main-Tauber beteiligten sich neben den Referenten Dr. Leonhard Haaf, Sylvia Schmid und MdB Charlotte Schneidewind-Hartnagel auch etliche Bürger aus dem Landkreis, wie es im Presseschreiben der Grünen heißt.
Der pensionierte Kinderarzt und aktuelle Landtagskandidat der Grünen, Dr. Haaf, wies darauf hin, dass Corona die prekäre Lage vieler Familien noch einmal zugespitzt habe. Aktuell seien fast 20 Prozent aller Familien Ein-Eltern-Familien, die Hälfte sei von Armut bedroht. Jede vierte Frau sei im Laufe ihres Lebens von häuslicher Gewalt betroffen, zitiert Haaf das Sozialministerium in Stuttgart. Die Heidelberger Gewaltambulanz rechne sogar mit einer Verdreifachung der Kindesmisshandlungen unter Corona. Er plädiert nachdrücklich für vorbeugende Maßnahmen.
Bewusstsein schaffen für Gewalt an Frauen
Sylvia Schmid vom Vorstand des Vereins "Frauen helfen Frauen", der sich gegen Gewalt an Frauen engagiert, berichtete, dass der Verein in Lauda eine Beratungsstelle betreibt, die vom Landkreis als offizielle Erstberatungsstelle finanziell gefördert wird. Dem Verein gehe es auch darum, in der Bevölkerung ein Problembewusstsein zu schaffen, denn neben physischer Gewalt seien Frauen auch von sexueller Belästigung und Stalking betroffen. Gemeinsam mit dem Landkreis konnte der Verein 2020 das Projekt "Notunterkunft" umsetzen. Gewaltopfer können nun sehr schnell in Hotels und Pensionen im Main-Tauber-Kreis untergebracht werden, falls das Frauenhaus voll ist. Derzeit seien diese Unterkünfte allerdings coronabedingt geschlossen.
Die Familienpolitikerin und Bundestagsabgeordnete der Grünen, Charlotte Schneidewind-Hartnagel, berichtete, dass die Familien unter Corona vor allem eines wollen: Planungssicherheit bei der Beschulung und Betreuung ihrer Kinder. Sie sparte nicht mit Kritik am Regelwirrwarr in den Ländern. Ihre Fraktion schlage ein bundeseinheitliches 5-Stufen-Modell vor, das verbindlich vorgibt, bei welchem Infektionsgeschehen welche Maßnahmen ergriffen werden müssen.
Wolfgang Pempe, Geschäftsführer des Diakonischen Werks im Main-Tauber-Kreis, sieht eine Verschärfung von Problemen unter Corona, die es schon vorher gab, etwa Armut. Den Grund sieht Pempe zum Beispiel im Wegfall von 450-Euro-Jobs, für die es auch kein Kurzarbeitergeld gebe. In über 30 Fällen habe das Diakonische Werk eine kurzfristige Überbrückungshilfe geleistet, wie es im Presseschreiben heißt. Auch er fordert mehr präventive Hilfen. Das sei volkswirtschaftlich sinnvoll, denn "wir fangen häufig erst dann mit Hilfen an, wenn diese schon sehr teuer sind", kritisiert er.
Schüler und Großmutter berichten von ihren Erfahrungen
Von seinen Erfahrungen als Schüler eines Gymnasiums mit dem digitalen Unterricht berichtete Franz Fischer. Manche seiner Lehrer könnten gut mit der neuen Technik umgehen, andere aber hätten große Schwierigkeiten damit. Es müsse viel mehr für die Lehrerfortbildung getan werden, damit digitales Lernen funktioniere. Eine teilnehmende Großmutter bemängelte, dass die Schulen aktuell davon ausgingen, dass mit dem digitalen Unterricht dieselben Lernziele erreichbar seien wie mit dem Präsenzunterricht. Ihre Enkelkinder stünden deshalb unter einem enormen Lerndruck.
Gabriele Bachem-Böse hielt dagegen, dass nicht alle Probleme automatisch gelöst seien, wenn es wieder Präsenzunterricht gebe. Ihre persönliche Erfahrung aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie sei, "dass 80 Prozent wegen Schulproblemen kommen". Schule funktioniere auch im Präsenzunterricht nicht gut.
Landtagskandidat Dr. Leonhard Haaf sieht ebenfalls starken Bedarf im Bereich der Bildung. Im Vergleich mit anderen Ländern, zum Beispiel China, werde in Deutschland viel weniger Geld dafür ausgegeben. Er räumte aber ein, dass niemand Corona habe voraussehen können. Sehr wohl aber habe das Kultusministerium im Sommer und Herbst vergangenen Jahres versäumt, sich auf die erwartbare zweite Welle der Corona-Pandemie vorzubereiten, so das Presseschreiben abschließend.