
Die prominent besetzte Jury beim „Debut“-Liederabend 2016 in der Wittenstein Innovationsfabrik in Harthausen war sich nach rund 25 Minuten einig: Die Künstlerische Leiterin Clarry Bartha gratulierte der gebürtigen Südkoreanerin Jihyun Lee (Jahrgang 1989) zum Gewinn des mit 3500 Euro prämierten Liedpreises.
Bei sieben nominierten Bewerbern gab es nur diesen einen Preis und die Favoritin hatte sich durchgesetzt, blieb aber sehr bescheiden: „Für mich war es eine große Überraschung, weil ich mit meinem Auftritt nicht so zufrieden war. Trotzdem habe ich meines Bestes gegeben und es hat geklappt“.
Nicht ganz glücklich war sie wohl mit „Ich wollt ein Sträußlein binden“ von Richard Strauss, dem ersten von zwei Liedern, in dem ein Mädchen Blumen pflücken will, doch das Blümlein um Gnade bittet, weil es nicht gepflückt werden will. Der makellose Vortrag des Gedichts von Clemens von Brentano mit perlenden Koloraturen ließ emotional etwas von der Wehmut einer zurückgewiesenen Liebe vermissen, doch reicht das Strauß-Lied schon kompositorisch nicht an Alban Bergs „7 frühe Lieder“ heran.
Die Vertonung von Carl Hauptmanns Gedicht „Nacht“ sang Lee mit starker Anziehungskraft, präzise nach den strengen Vorgaben Bergs und doch hochemotional. „Nacht“ erzählt voller Metaphorik von einer zwiespältig erlebten Natur, die existenzieller Urgrund allen Seins ist, aber auch Gefährdung und Einsamkeit mit sich bringen kann.
Spätromantik pur
Spätromanik pur also, die sich nicht mit grellen Deckenleuchten verträgt; erst als es nach der Preisvergabe bei der Wiederholung des zweimal sehr textverständlich vorgetragenen Liedes voller morbider Rauschhaftigkeit gegen Ende heißt: „und aus tiefen Grundes Düsterheit blinken Lichter auf in stummer Nacht“ empfahl es sich für den ergriffen lauschenden Zuhörer, langsam wieder die geschlossenen Augen zu öffnen.
Noch am Nachmittag hatte Jihyun Lee mit dem Philharmonischen Orchester Würzburg eine Probe: „Es war nicht leicht, sich dann noch auf den Liederabend zu fokussieren“. Doch ihr gefiel es sehr, dass bei diesem Wettbewerb Lied und Oper vertreten sind und sie wollte auch bei der Gala am Abend lockerbleiben: „Ich bin schon so froh, dass ich überhaupt dabei bin und erwarte nicht, dass ich beim Finale einen Preis bekomme.
Ich möchte einfach mein Bestes geben und mit dem Orchester Spaß haben“. Gerade erst ist sie die nach dem einjährigen Stipendium aus Mailand und der Scala nach Mannheim zurückgekehrt, wo sie nach ihrem Master noch ein einjähriges Aufbaustudium an der Musikhochschule bei Prof. Snežana Stamenkovic absolviert.
Von insgesamt zwölf Liedern des Abends wurden „A Route to the Sky“ von Jake Heggie von den beiden Countertenören Jungkwon Jang und Jean-Xuhui Du und das Brahms-Lied „Von ewiger Liebe“ von der Mezzosporanistin Fanny Lustaud und der Altistin Aline Kostrewa im reizvollen Vergleich musikalisch hinreißend und nahezu gleichwertig, aber mit völlig unterschiedlicher Mimik und Gestik interpretiert.
Mit tiefer Innerlichkeit eröffnete die in Paris geborene Mezzosopranistin Fanny Lustaud mit den Brahms-Liedern „An einer Äolsharfe“ und „Von ewiger Liebe“ verheißungsvoll den Abend. Countertenor Jungkwon Jan, mit Jahrgang 1984 der älteste Bewerber, überraschte bei dem von Franz Schubert in Töne gesetzten Goethe-Gedicht „Ganymed“ mit enormer stimmlicher Bandbreite. Die französische Sopranistin Marie-Pierre Roy brachte das Publikum nach dem „Ständchen“ Op. 17 No.2 vor allem mit dem charmanten Liszt-Lied „Oh! Quand je dors!“ auf ihre Seite.
Der österreichische Bass Daniel Gutmann war mit Jahrgang 1991 jüngster Finalist. Er hatte mit Schuberts „Wanderer“ und Schumanns „Die beiden Grenadiere " zwei Lieder im Repertoire, bei denen sein vor allem in der Mittellage kerniger bis glutvoller Bass voll zur Geltung kam. Die Altistin Aline Kostrewa brachte vor dem Brahms-Lied „Von ewiger Liebe“ noch Poulencs „Hotel“ delikat und feindosiert zu Gehör.
Für den stärksten Kontrast des Abends sorgte der chinesische Countertenor Jean-Xuhui Du, als er vor Heggies „A Route to the Sky“ mit Bachs „Bereite dich Zion“ adventliche Erwartungshaltung in den Saal zauberte.