
Seit Jahren tobt ein stiller Krieg in den Gewässern Mitteleuropas, der mit ungleichen Waffen geführt wird. Amerikanische Flusskrebsarten verbreiten die Krebspest und sorgen damit für ein Massensterben der heimischen Krustentiere. Auch Baden-Württemberg ist Kriegsgebiet.
Mit mehreren Aquarien klärt Wolfgang Sitter auf. Bei einem Aktionstag in Lauffen am Neckar (Kreis Heilbronn) informiert der 67-Jährige über das Leben in den heimischen Gewässern. Ein Ziel: Warnen vor der Invasion der amerikanischen Krebse. Genau von diesen hat er einige lebende Exemplare mitgebracht, unter anderem die ursprünglich aus einem Gebiet westlich der Rocky Mountains stammenden Signalkrebse. „Die habe ich aus der Elsenz geholt. Dort kommen sie mittlerweile in solchen Mengen vor, dass zwei Tonnen pro Jahr entnommen werden“, sagt der Fischerei-Ausbilder, der seit 40 Jahren für den Landesfischereiverband tätig ist.
Das Problem: Die amerikanischen Artgenossen sind Überträger der Krebspest, selbst aber resistent gegen die durch einen pilzähnlichen Erreger ausgelöste Infektionskrankheit. Für heimische Arten bedeutet die Ansteckung jedoch in der Regel den sicheren Tod.
Genau aus diesem Grund ist die immer stärkere Ausbreitung der nordamerikanischen Krebse in Mitteleuropa ein großes Problem. „Diese sogenannten invasiven, gebietsfremden Tierarten haben ein hohes ökologisches und ökonomisches Schadenspotenzial“, sagt Christoph Chucholl, Experte für Flusskrebse bei der Fischereiforschungsstelle Baden-Württemberg in Langenargen (Bodenseekreis). Die fremden würden die heimischen Arten nach und nach verdrängen.
„Der Dohlenkrebs gilt mittlerweile als vom Aussterben bedroht, andere Arten wie der Edelkrebs oder der Steinkrebs gelten als stark gefährdet“, erklärt der Biologe. „In vielen Landesteilen kommen die fremden Arten bereits deutlich häufiger vor als die heimischen Arten.“ Flusskrebse seien ökologische Schlüsselorganismen, die auch großen Einfluss darauf hätten, welche anderen Arten es in welcher Dichte in Gewässern gebe. „Studien legen nahe, dass die Gewässer durch die Ausbereitung der neuen Arten verarmen können.“
Die Entwicklung habe direkte Konsequenzen für den Menschen, warnt Chucholl. „Der Verlust von Edelkrebsen kann beispielsweise auch einen finanziellen Verlust bedeuten. Edelkrebse schmecken besser als die amerikanischen Verwandten und bringen deshalb oft den drei- bis vierfachen monetären Erlös.“
Außerdem könnten die neuen Arten die Infrastruktur der Gewässer schädigen. „Flusskrebse leben in Höhlen, die fremden Arten graben aber mehr als die heimischen.“ So würden Böschungsränder instabil, es komme zu Abrutschungen und Abbrüchen.
Fünf amerikanische Flusskrebsarten haben sich in den Flüssen im Südwesten etabliert. Die aktuell größte Bedrohung: der Signalkrebs. „Das ist unser Hauptproblemkrebs derzeit“, sagt Chucholl. Das sehr aggressive und dem Edelkrebs relativ ähnlich sehende Tier sei nicht nur in den Hauptläufen der Flüsse beheimatet, sondern dringe auch immer mehr in kleinere Seitengewässer vor, in denen die heimischen Arten bisher noch meist sicher waren. Vor allem der Dohlen- und der Steinkrebs seien durch diese Invasionswelle stark betroffen.
Doch woher kommen die amerikanischen Krebse überhaupt? Während der ebenfalls auf dem Vormarsch befindliche Kamberkrebs in den 1960er Jahren aktiv über den Rhein nach Baden-Württemberg eingewandert ist, gehen die zahlreichen Signalkrebsvorkommen wohl überwiegend auf bewusste Aussetzungen zurück.
Nicht selten stecke dahinter vermutlich der Irrglaube, eine heimische Krebsart vor sich zu haben, so Chucholl. Deshalb sei Aufklärung von größter Bedeutung. Auch Aquarianer hätten bereits nordamerikanische Flusskrebsarten wie Marmorkrebse ausgesetzt, wenn diese im Aquarium lästig wurden.
Um dem Rückgang der heimischen Arten entgegenzuwirken, würden diese derzeit in einem Modellprojekt in möglichst sicheren Gewässern wieder angesiedelt. Zwar sei es schwierig, der Invasion Herr zu werden, räumt Chucholl ein. Aber: „Ich bin kein Freund davon, zu sagen, es ist zu spät – ganz im Gegenteil.“