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BOXBERG
Dem Glück der Schweine auf der Spur
Schwein gehabt: Diese Ferkel der Zuchtrasse „German Genetic“ in der Boxberger Landesschweinezuchtanstalt werden gesäugt. Dort versucht man herauszufinden, wann ein Schwein glücklich ist.
Foto: Uwe Anspach, dpa | Schwein gehabt: Diese Ferkel der Zuchtrasse „German Genetic“ in der Boxberger Landesschweinezuchtanstalt werden gesäugt. Dort versucht man herauszufinden, wann ein Schwein glücklich ist.
dpa
 |  aktualisiert: 30.12.2014 19:07 Uhr

Wann ist ein Schwein glücklich? Vermutlich lässt sich das nie klären. Die Landesanstalt für Schweinezucht versucht dennoch, dass die Tiere ein Stück weit besser leben – bevor sie doch auf dem Teller landen.

Wer zu diesen Schweinen will, muss erst einmal duschen. Keime müssen draußenbleiben. Schließlich suhlen sich hier nicht irgendwelche Sauen: Die 250 Exemplare in der Landesanstalt für Schweinezucht (LSZ) im fränkischen Boxberg dienen der Wissenschaft. Was braucht ein Schwein, um sich wohlzufühlen, in seinem kurzen Leben bis zur Schlachtbank? Können Menschen das überhaupt sagen?

„Die Gesellschaft will eine artgerechte Haltung von Sauen. Wir müssen sehen, wie die Landwirte das hinbekommen“, so Chef Hansjörg Schrade. Parmaschinken ist beliebt. Wo er herkommt, wie er produziert wird, ahnt man, wissen mögen es viele aber lieber nicht so genau. Berichte von im Dreck und auf Betonplatten dahinvegetierenden Sauen ohne jeglichen Auslauf schrecken auf – geraten dann aber auch schnell wieder in Vergessenheit.

Ähnlich verhält es sich bei Berichten darüber, dass Ferkel als erstes ohne Betäubung oder Schmerzmittel die Schwänze kupiert und die Hoden abgeschnitten bekommen.

Hier im Stall sieht vieles anders aus: Die Schweine leben in Gruppen, liegen und wühlen im Stroh, können raus. Hier schlafen, da fressen, dort laufen – diese Schweine haben verschiedene Lebensbereiche. Zum Abkoten, wie der Fachmann es nennt, gehen sie meist raus.

Der Mensch würde sagen, diese Schweine sind glücklich. Glücklicher zumindest als die Schweine in herkömmlichen Ställen, wie es sie hier auch gibt: Allein vom Platz her, den jede Sau hat, ist das kein Vergleich.

Drastisch ist der Unterschied dort, wo die Ferkel geboren werden. Klassisch hat die rund 230 Kilo schwere Muttersau in den Abferkelbuchten 4,5 Quadratmeter. Sie steht in engen Gittern, damit sie die Ferkel nicht erdrückt. Meist zehn Stück kann sie bis zu fünf Mal im Jahr bekommen. Es ist sehr warm. Im Vergleichsstall ohne Heizung hat die Muttersau zwölf Quadratmeter zur Verfügung, kann sich frei bewegen. Die Tiere wärmen sich hier quasi selbst.

Öko-Siegel

Auch die Jungschweine in den herkömmlichen Ställen stehen auf Betonplatten mit Ritzen, durch die sie ihren Kot treten. Die Tiere stehen dicht gedrängt. Als Mastschweine haben sie dann, noch einen Stall weiter, 0,75 Quadratmeter in herkömmlicher Aufzucht, mindestens 2,3 Quadratmeter braucht ein Schwein, damit sein Fleisch später ein Öko-Siegel tragen darf.

„Die neuen Haltungsformen sind für die Landwirte sehr viel aufwendiger“, sagt Schrade beim Blick über die Anlage. „Das Tier-Mensch-Verhältnis ist heute ein ganz anderes.“ 120 Kilo bringt ein Mastschwein nach knapp einem Jahr auf die Waage. Vier Wochen werden die Ferkel von der Mutter gesäugt, sieben Wochen dauert die Aufzucht, 18 Wochen die Mast.

Laut Schrade erzielt der Landwirt aktuell pro Kilo Schlachtgewicht, also verwertbares Fleisch, 1,40 Euro. Womit ein Schwein ihm 130 bis 140 Euro bringe. 180 müssten es aus seiner Sicht sein, um wirtschaftlich zu sein. Die Landwirte merkten, dass der russische Markt etwa derzeit nicht offen sei.

Lob bekommen die Boxberger Musterställe vom Tierschutzbund: Man versuche vieles, damit es den Schweinen „wenigstens ein bisschen besser geht“, sagt Vizepräsidentin Brigitte Rusche. Der Einfluss den die Anstalt auf angehende Landwirte habe, sei immens. In Boxberg gehe es nicht nur um Profit, sondern auch um alternative Haltung. Bei großen Anlagen mit bis zu 70 000 Schweinen etwa, wie es sie in Ostdeutschland gebe, seien Änderungen im System schwierig, so Rusche. „Da gibt es kaum Möglichkeiten, irgendetwas zu verbessern.“

Hoffnung ruhe da auf kleinen und mittleren Betrieben, die man zum Umdenken bringen wolle. „Boxberg ist recht fit, was man da machen kann.“ Bis zum vielzitierten Tierwohl in Deutschlands Schweineställen sei es aber noch ein weiter Weg, wie Cornelie Jäger, Baden-Württembergs Tierschutzbeauftragte sagt. „Tierwohl wird erst dann erreicht, wenn die Tiere ihr Normalverhalten ausleben können.“

Laut Schrade werden die Schwänze der Ferkel kupiert, damit sich die Tiere sie nicht gegenseitig abbeißen, was zu Infektionen führen kann. „In den Ställen der alternativen Bauweise versuchen wir darauf zu verzichten.“ Männliche Ferkel würden kastriert, weil geschlechtsreife Eber schwieriger zu halten seien.

Jägers Forderung: „Man muss aufhören, das Tier an das System anzupassen. Wir müssen stattdessen die Haltungsverfahren an die Bedürfnisse der Tiere anpassen.“

30 Millionen investiert

Baden-Württemberg hat sich den Aufbau der Landesanstalt für Schweinezucht laut Agrarministerium knapp 30 Millionen Euro kosten lassen, ihr Betrieb mit insgesamt 55 Beschäftigen koste jährlich 3,8 Millionen Euro.

In Boxberg lernen jährlich 180 Lehrlinge, 170 Fachschüler, 250 Studenten, 650 Betriebsleiter und 120 Berater und rund 2000 Schweinehalter. Laut Schrade gibt es 3500 Betriebe mit Zuchtsauen im Land. Die größten haben 500 Schweine. Kein Vergleich zu den Betrieben in Niedersachsen, Ostdeutschland oder Dänemark - mit dem Zehnfachen davon.

 
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