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Bad Mergentheim
Bis an die Grenze dessen, was gesanglich möglich ist
Hartmut Hess
 |  aktualisiert: 22.10.2022 02:38 Uhr

Einen Liederabend der Weltklasse erlebten die Besucher der jüngsten Veranstaltung der aktuellen Reihe der Museumskonzerte, die am 3. Dezember, mit dem traditionellen Jahresabschlusskonzert endet. Mit Christiane Karg war diesmal eine der weltweit gefragtesten Sängerinnen ihrer Generation im - leider nur mäßig gut besuchten - "Roten Saal" zu Gast, wo sie sich, am Klavier begleitet von Malcolm Martineau, mit einer Auswahl aus Liederzyklen von Brahms, Berg, Berlioz und Ottorino Respighi präsentierte.

Dass die 1980 in Feuchtwangen geborene Sopranistin seit über einem Jahrzehnt international zur Creme ihrer Zunft gehört, war an diesem Abend leicht nachzuvollziehen. Bestechend schon durch ihre Erscheinung, mit ihrer grazilen Figur, dem edlen, rassigen Profil, fasziniert sie auch mit ihrer ungewöhnlichen darstellerischen Präsenz.

Maßstäbe für die Gattung "Liedgesang" gesetzt

Was an diesem Liederabend wohl am meisten beeindruckte, war die Art und Weise, wie die Interpretin jede der insgesamt 23 Nummern zu ihrer eigenen machte und damit zugleich Maßstäbe für die Gattung "Liedgesang" setzte. Die Voraussetzungen dafür besitzt sie im Überfluss: Eine schlanke, biegsame, ungewöhnlich leuchtstarke Sopranstimme von ebenso ungewöhnlicher Wandlungsfähigkeit und schimmerndem Farbenreichtum, mit einer souverän beherrschten Skala dynamischer Abstufungen, von Phrasierungs- und Ausdrucksnuancen, verbunden mit peinlicher Sorgfalt der Artikulation und einer gestalterischen Intelligenz und Einfühlsamkeit, wie man ihr auf dieser Höhe weltweit selten begegnet.

Der Abend im "Roten Saal" stand vornehmlich im Zeichen der Romantik, in seinem ersten Teil mit einer Auswahl von sechs Beispielen aus Liederzyklen von Johannes Brahms und den "sieben frühen Liedern" von Alban Berg (1885 bis 1936), entstanden vor und während des Ersten Weltkrieges, in denen sich die Entwicklung des Komponisten vom Spätromantiker zum "Neutöner" ganz gut nachvollziehen lässt.

Die sechs Lieder von Brahms mit Titeln wie "Auf dem See", "Feldeinsamkeit" oder "Sommerabend", reife Früchte sublimierter romantischer Empfindung, wurden von der Interpretin mit verhaltenem Espressivo und ausgefeilter lyrischer Gesangskultur zelebriert, bei Bergs Liedern ging sie noch darüber hinaus – bis an die Grenze dessen, was mit gesanglich-darstellerischen Mitteln zu realisieren ist. Die expressive Intensität in "Nacht", die quasi somnambule Naturstimmung im "Schilflied", die geisterhafte Intimität und Verinnerlichung in "Traumgekrönt" waren Beispiele dafür.

Der Pianist Malcolm Martineau an ihrer Seite hat schon mit Größen von Thomas Hampson bis Elina Garanca und Anna Netrebko zusammengearbeitet. Der gebürtige Schotte erwies sich hier als Musiker eigenen Ranges, durchaus zupackend und selbstbewusst seine Akzente setzend, was er sich bei einer Partnerin vom Kaliber Christiane Kargs auch erlauben konnte, ungeachtet der etwas harten Akustik des "Roten Saals".

Nach der Pause ging es in den lieblichen Süden

War der erste Teil dieses Liederabends der mitteleuropäischen Musiktradition vorbehalten, so ging es nach der Pause in den lieblichen Süden, mit Liedbeispielen von Ottorino Respighi (1879 bis 1936) und Hector Berlioz (1803 bis 1869). Respighi ist bei uns vor allem durch seine Instrumentalmusik bekannt, er hat aber auch viele Opern geschrieben und auch Vokalmusik, Lieder, von denen vier dargeboten wurden.

Es sind musikalische Naturdichtungen von impressionistischem Zauber, mit Namen wie "O falce die luna" ("Mondsichel") oder "Van li effluvi de le rose" ("Aus den Gärten wehen Rosen"), in denen sich Kargs leuchtender Sopran in herrlich strömender Gelöstheit und Farbenglut entfaltete. Ein, zumindest für unser Empfinden, südliches Lebensgefühl tut sich auch in dem Zyklus "Les nuits d'été" ("Sommernächte") von Hector Berlioz kund, sechs romantisch-schwermütigen Stücken nach Gedichten seines Landsmanns Theophile Gautier (1811 bis 1872), in denen das erzromantische Doppelmotiv von Eros und Tod in düsterfarbigen Bildern beschworen wird.

Der heiter-beschwingte Auftakt lässt noch nicht ahnen, dass im Folgenden nicht nur der "Geist der Rose" sondern auch der Friedhof tränenreich besungen werden. Wie in seiner "Symphonie fantastique" ergeht sich der Komponist hier in suggestiver Klangmalerei, und wie schon bei Respighi verband Christiane Karg in diesen Stücken betörend schöne Klangsinnlichkeit und südliche Leidenschaft mit sublimer Textgestaltung und lyrischer Einfühlsamkeit.

Für den minutenlangen Schlussbeifall im "Roten Saal" bedankte sich Christiane Karg noch mit einer weiteren Perle der Spätromantik, den "Sommerfäden" von Franz Schreker.

 
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