
Wer beim Thema "Eine feurige Wolke in der Nacht" glaubte, es handle sich um ein spektakuläres Phänomen am Himmel, lag nicht ganz richtig. Unter diesem Titel hatte das Team der evangelischen Frauenarbeit im Kirchenbezirk Wertheim zu einem Gottesdienst eingeladen, in dem die streitbare Theologin Dorothee Sölle im Mittelpunkt stand. Eigentlich hätte der Bezirksfrauentag wie in den vergangenen Jahrzehnten am Vor- und Nachmittag stattfinden sollen, doch dieses Jahr unter den besonderen Bedingungen hatte man – nur mit Voranmeldung – für eine Stunde in der Stiftskirche in Wertheim eingeladen. Barbara Coors, Regionalreferentin der Frauen in Baden, zeichnete in mehreren Kapiteln und mit verschiedenen Fotos ein Bild Dorothee Sölles, ihre Suche nach Gott, ihr Kampf für Gerechtigkeit und ihr politisches Engagement.
Geboren wurde sie 1929 als Dorothee Nipperdey in Köln und erlebte ihre Kinder- und Jugendjahre in den Zeiten des Nationalsozialismus und des 2. Weltkriegs. In ihrer Familie – sie hatte drei ältere Brüder und eine jüngere Schwester – gab es Diskussionen, Streitgespräche und jugendliche Kritik am herrschenden System, ohne dass sich jedoch jemand aktiv am Widerstand gegen das Regime beteiligte. Erst nach dem Kriegsende 1945 erfuhr Dorothee nach und nach von den Ausmaßen und Gräuel des nationalsozialistischen Terrorstaates und der Ermordung von Millionen Juden und versuchte, all das zu verstehen.
Die Frage nach Gott in Auschwitz
Nach dem Abitur studierte sie zunächst alte Sprachen, doch das Vergangene ließ sie nicht los und sie konnte keine Antwort finden auf ihre drängenden Fragen: Wie war diese grauenhafte Vergangenheit möglich? Wie kann Deutschland in Zukunft damit umgehen? So fand sie zur Theologie, machte 1954 ihr Examen und heiratetet im gleichen Jahr den Maler und Kunsterzieher Dietrich Sölle, mit dem sie drei Kinder hatte. 10 Jahre später wurde die Ehe jedoch geschieden. Zunächst hatte sie als Lehrerin im höheren Schuldienst gearbeitet, später war sie als Schriftstellerin und freie Mitarbeiterin beim Rundfunk tätig. 1969 heiratete sie ihren 2. Mann, den ehemaligen Benediktinermönch Fulbert Steffensky, mit dem sie eine weitere Tochter bekam.
Die drängende Frage: Wo war Gott in Auschwitz, wo ist er angesichts von Leid und Unrecht, ließ sie auch nach ihrem Studium nicht los. Warum greift Gott nicht ein? Mit einigen weiteren Theologen und jüdische Religionsphilosophen formulierte Sölle das schließlich so: "Gott leidet mit". Jesu ist in seinem Leben immer an der Seite der Schwachen, Unterdrückten, Ausgestoßenen bis hin zu seinem Tod am Kreuz und er teilt seine Ohnmacht mit den Ohnmächtigen. In all unserer Not ist er bei uns, und auch wenn er uns nicht vor Schmerzen verschont, kann er uns trösten wie eine Mutter. Auch andere Bilder hatte Bilder Dorothee Sölle von Gott: "Gott ist Brot" für die Hungrigen, geteiltes Brot für die Übersättigten, und: Christus hat keine anderen Hände als unsere, Gott ist angewiesen auf uns.
Teil der Friedensbewegung
Sölle wirkte auch in der Friedensbewegung mit und war Mitinitiatorin des "Politischen Nachtgebets", das zunächst nur ein Gesprächskreis von evangelischen und katholischen Christen war, die sich mit Religion, Kultur und gesellschaftspolitische Fragen beschäftigten. Themen in den 60er waren dabei unter anderem der Krieg in Vietnam, der Prager Frühling oder Diskriminierung von Frauen.
Neben der theologischen Suche nach Gott und dem politischen Engagement beschäftigte Dorothee Sölle die Mystik, die sie als eine Reise, eine Suche beschrieb, die für sie aus drei Teilen bestand: Das Staunen, also sich von einem Moment verzaubern lassen können, dann das Loslassen von allem was uns hält, beschwert – beides führt für sie schließlich zum dritten, zum Widerstand, zum Widerstand gegen Unterdrückung, Ausbeutung und zum Handeln für die Schöpfung und für das Leben.
Dorothee Sölle starb am 27. April 2003 drei Tage nach einem Vortrag in Bad Boll an einem Herzinfarkt.
Kollekte für das Projekt "Wellcome"
Barbara Coors hatte zu den einzelnen Teilen ihres Vortrags verschiedenen Bilder von Dorothee Sölle und ihren Aktivitäten gezeigt, und Kirchenmusikdirektor Carsten Klomp zwischen den einzelnen Passagen das "Gib uns Weisheit, gib uns Mut" gespielt. Dorothee Sölle kam in dieser Stunde auch mit eigenen Texten zu Wort, mit einer Interpretation von Psalm 51 sowie ihrem Glaubensbekenntnis.
Da die Frauen sich nicht wie sonst am Nachmittag bei Kaffee und Kuchen zusammensetzen konnten, bekamen sie noch einen Gruß mit "15 Minuten mit Dorothee Sölle" mit, eine kleine Tüte mit einer Kleinigkeit für Leib und Seele. Die Kollekte des Gottesdienstes war für das Projekt "Wellcome" des Diakonischen Werks gedacht und ergab 320 Euro. Der nächste Bezirksfrauentag ist für den 12.November 2021 geplant.