Deutsch-Schweizer Beziehungen mögen nicht immer einfach sein. Doch auf kultureller Ebene pflegen Konstanz und seine Nachbarstadt Kreuzlingen gute Kontakte: Bei der Aktion „Literatur in den Häusern“ laden Deutsche und Schweizer zu Lesungen ins eigene Wohnzimmer ein.
Was Peer Steinbrück mit Literatur zu tun hat? Auf den ersten Blick nicht viel. Dennoch hofft man in Konstanz, dass die Schweizer Nachbarn dank der Kultur endlich wieder vergessen, dass der ehemalige Finanzminister ihnen am liebsten die Kavallerie auf den Hals gehetzt hätte. Denn bei einer ungewöhnlichen Leseaktion unter dem Titel „Literatur in den Häusern“ dreht sich seit Sonntag am Bodensee alles rund um deutsch-schweizerische Beziehungen – wobei es nicht um Fluglärm und Steuerstreit geht, sondern um Max Frisch und Co.
Die Idee dahinter: Insgesamt 29 Gastgeber in Konstanz und der schweizer Nachbarstadt Kreuzlingen öffnen an drei Abenden ihre Türen, um sich mit etwa 20 Gästen im eigenen Wohnzimmer Literatur vorlesen zu lassen. Konstanz pflege seit Jahren viele kulturelle Beziehungen mit der Nachbarstadt Kreuzlingen, sagt Organisator Frank Lettenewitsch, der die Aktion gemeinsam mit dem Konstanzer Stadtmarketing veranstaltet. Auf Wunsch des Schweizer Publikums finde „Literatur in den Häusern“ daher seit Jahren grenzüberschreitend statt. Literarisch gebe es jede Menge Verbindungen zwischen den Ländern: So sei beispielsweise der mit zahlreichen deutschen Literaturpreisen geehrte Autor Adolf Muschg eigentlich Schweizer. Muschg wird am 24. Februar in Kreuzlingen eigene Texte vorlesen und mit den Zuhörern über Deutschland und die Schweiz diskutieren. Auch die in Berlin lebende Schriftstellerin Ursula Fricker stamme ursprünglich aus dem schweizerischen Schaffhausen, sagt Lettenewitsch. Einer ihrer Texte steht neben dem „Tagebuch 1946-1949“ von Max Frisch am 17. März in Kreuzlingen auf dem Programm. Weitere Autoren sind auch Stefan Zweig und Sibylle Berg. Zum Auftakt am Sonntag las unter anderem Schauspieler Thomas Fritz Jung vom Konstanzer Stadttheater die „Episode am Genfer See“ von Stefan Zweig. Ort der Lesung: Ein Konstanzer Architekturbüro. Als Bühnenbeleuchtung in dem historischen Gemäuer diente ihm eine Schreibtischlampe, Büroregale mit dicken Katalogen waren zum Büffet umfunktioniert, überall flackerten stimmungsvolle Teelichter. „Das Büro hat sonst eine ganz andere Wirkung“, staunte Gastgeber Christoph Bieler. Andere Gäste landeten bei den Lesungen in einer Studenten-WG, einem feinen Salon oder einer urigen Bürgerstube aus dem 15. Jahrhundert. Spannend bleibt die Aktion bis kurz vor Beginn: Die Adresse erfahren die Zuhörer erst beim Kauf ihrer Karte.
Der Schweizer Otto Schildknecht hat die Einladung in die deutsche Nachbarstadt gerne angenommen. Obwohl er seit Jahrzehnten in Kreuzlingen wohne, seien solche privaten Kontakte selten, sagt er. „Die Grenze ist immer noch in den Köpfen.“ Meist komme man nur zum Einkaufen oder ins Kino nach Konstanz. Nach der Lesung sitzt Schildknecht mit seinem Gastgeber und anderen Zuhörern in einem Restaurant. „Die Beziehungen sind sehr strapaziert. Ich finde die Aktion daher super“, sagt er. Seiner Ansicht nach es müssten viel mehr solcher Veranstaltungen stattfinden.