
Mehr als 300 000 Tonnen Pestizide werden jährlich in Deutschland ausgebracht. Tendenz steigend. Pflanzenschutzmittel treffen aber nicht nur Unkräuter und Schädlinge. Sie gefährden die gesamte Umwelt. Über Rückstände in Lebensmitteln oder Gewässern landen diese Gifte letztlich auch auf den Tellern der Verbraucher.
Über „Pestizide, die unterschätzte Gefahr“ informierte eine Podiumsdiskussion mit drei Experten in der Grünsfelder Stadthalle. Bei der vom Aktionsbündnis Gentechnikfreie Region Main-Tauber organisierten Veranstaltung mit rund 150 Teilnehmern sprachen Imker-Präsident Peter Maske, Bundestagsabgeordneter Harald Ebner und Tomas Brückmann vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).
„Wir wollen die Öffentlichkeit für ein brisantes Thema sensibilisieren“, erklärte Christine Gerstner. Es gehe nicht darum, so die Vorsitzende des Aktionsbündnisses Gentechnikfreie Region Main-Tauber, eine bestimmte Berufsgruppe zu diskriminieren. Die Verbraucher sollten vielmehr verantwortungsbewusst und vor allem nachhaltig mit der Umwelt umgehen. Deshalb sei es wichtig, sich umfassend über die Risiken von Pestiziden zum informieren.
„Die Bienen sind in Gefahr“, warnte Peter Maske. Eigentlich müssten sie auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tierarten stehen. Unterschiedliche Faktoren machte der Präsident des Deutschen Imkerbundes dafür verantwortlich. Die intensive Landwirtschaft zum Beispiel. Durch die Flurbereinigung sind große Ackerflächen entstanden, auf denen Pflanzen in Monokulturen angebaut werden. So kann der Landwirt zwar effizient wirtschaften, die Artenvielfalt geht aber drastisch zurück.
„Den Bienen kommen die Versorgungsquellen abhanden“, erklärte Maske. Sie müssen sich mit eigentlich uninteressanten Pflanzen begnügen. Wie zum Beispiel dem Mais. Der erlangt als Energiepflanze immer größere Bedeutung, liefert aber nur minderwertigen Pollen. Und weil die Monokulturen regelmäßig mit Pflanzenschutzmitteln behandelt werden, sind die Bienen auch noch einem Giftcocktail ausgesetzt.
Das muss sich ändern, forderte Maske. Er will, dass bei Landwirten und Verbrauchern ein Umdenken einsetzt. Blühflächen sollen das Nahrungsangebot für die Bienen erweitern. Alternativpflanzen für den Mais sind ebenfalls gefragt. Für Maske ist klar: „Geht es der Biene gut, geht es auch der Natur und dem Menschen gut.“
Lobbyverbände nehmen Einfluss
„Die konventionelle Landwirtschaft hängt an der Nadel“, kritisierte Harald Ebner. Sein Eindruck: Das gängige Agrarmodell kommt ohne Pflanzenschutzmittel nicht mehr aus und ist deshalb in Abhängigkeit von der agrochemischen Industrie geraten. Das Problem: Die angeblich völlig ungefährlichen Wunderwirkstoffe zeigen mittlerweile doch Nebenwirkungen.
Harald Ebner ist Bundestagsabgeordneter von Bündnis90/Die Grünen mit den Arbeitsschwerpunkten Ökologie und Naturschutz. Die Fraktion hat ihn zum Sprecher für das Thema Agro-Gentechnik gewählt. Außerdem ist er Mitglied im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. In dieser Funktion hat er wiederholt Bekanntschaft mit den Vertretern von Lobbyverbänden gemacht. Die versuchen, Einfluss auf Genehmigungsverfahren und Gesetzgebung zu nehmen. Und spielen dabei – so Ebners Erfahrung – die Risiken regelmäßig herunter. Sein Urteil: „Eine angemessene Risikobewertung findet nicht statt.“ Was ihn aber auch nicht sonderlich verwundert. Basis für die Bewertung sind nämlich Studien, die die Unternehmen selbst angefertigt haben.
„Von vielen Pestiziden geht eine Gefahr für die Artenvielfalt aus“, betonte Tomas Brückmann. Der Experte verwies auf zahlreiche Studien. Sie belegen seinen Angaben zufolge eindeutig die fatalen Folgen für Vögel, Fledermäuse, Amphibien und Bienen. „Die Pestizide sind ein viel größeres Problem als bisher angenommen“, so Brückmann. Die meisten Pestizide werden in der konventionellen Landwirtschaft ausgebracht. Um mehr als 22 Prozent nahm zwischen 2002 und 2011 die eingesetzte Menge zu. Für ihn besonders schockierend: Pflanzenschutzmittel, die kurz vor der Ernte ausgebracht werden, damit das Getreide früher reif wird. Brückmann zitierte auch eine Studie des Umweltbundesamtes von 2006, nach der 50 Prozent der Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft falsch oder fehlerhaft angewendet werden.
Pestizidfreie Kommune
Brückmann sah auch die Kommunen und Kleingärtner in der Verantwortung. Diese setzen seiner Meinung nach aus einer „Rundumversorgungsmentalität“ gedankenlos Pflanzenschutzmittel ein. Weil es schön aussehen soll und bequem ist. Dieses Denken gilt es, so Brückmann, zu überwinden.
Manche Städte und Gemeinden sind schon einen Schritt weiter. Sie haben sich zur „pestizidfreien Kommune“ erklärt.