In der ehemaligen Synagoge betrachtete der Tauberbischofsheimer Künstler und Maler Gunter Schmidt das Leben und Werk der jüdischen Malerin Lotte Laserstein (1898-1993). Geboren wurde sie im damaligen Ostpreußen, in Preußisch Holland bei Elbing, als Tochter des Apothekers Hugo Laserstein und dessen Frau Meta. Nach dem frühen Tod des Vaters zog Meta Laserstein mit ihren beiden Töchtern zu ihrer Mutter Ida und der alleinstehenden Schwester Elisabeth Birnbaum nach Danzig. Birnbaum betrieb eine private Malschule, so dass Lotte Laserstein früh im Fach Malerei unterrichtet wurde.
Die verwitwete Mutter und deren unverheiratete Schwester Elisabeth waren berufstätige und autarke Frauen, die mit ihrem Lebensstil beide Mädchen nachhaltig prägten. Denn beide blieben zeitlebens alleinstehend und sorgten stets selbst für ihren Lebensunterhalt. 1912 zog die Familie von Danzig nach Berlin. Nach dem Abitur schloss Lotte als eine der ersten Absolventinnen der Hochschule für die Bildenden Künste ihr Studium der Malerei im Zeitraum von 1921 bis 1927 mit Auszeichnungen ab. Als Meisterschülerin von Erich Wolfsfeld spezialisierte sie sich auf die Porträtmalerei.
Gunter Schmidt hob deutlich das Spannungsfeld hervor, das kurz nach dem ersten Weltkrieg in der Weimarer Republik noch vorherrschte. Als Frau auf der einen Seite, die etwa durch Emanzipation und Wahlrecht gerade eine andere Stellung in der Gesellschaft erhalten hatte. Und als Jüdin auf der anderen Seite, wo die eingeschränkten Bildungschancen nach dem Ende des Kaiserreiches nicht mehr vorhanden schienen. Also doch die "Goldenen Zwanziger" wie oft beschrieben? Auf den ersten Blick ja, so Gunter Schmidt. In der Realität aber ein harter Kampf mit Vorurteilen und Klischees, die das Leben der weiblichen, jüdischen Künstlerin Lotte Laserstein und viele ihrer Kolleginnen in Malerei und Musik beeinflussten.
Anhand von mehreren Gemälden zeigte Gunter Schmidt das zentrale Thema ihrer Arbeit auf, nämlich die sogenannte Bildnismalerei. Die der Neuen Sachlichkeit nahe stehenden Bilder, die zwischen 1927 und 1933 entstanden, als sie relativ unabhängig von Aufträgen arbeiten konnte, werden heute als die bedeutendsten eingeschätzt. Es sind "Bildnisse zwischen sozialer Repräsentation und malerischer Präsenz", die "als Schilderung weiblicher Lebensrealität" gelten können, so der Tauberbischofsheimer Künstler.
Eine der ersten, die weibliche Akte zeichnete
1925 hatte Laserstein ihre langjährige Freundin Traute Rose kennengelernt, die sie in zahlreichen Bildern porträtierte. Darunter waren auch weibliche Akte, was Laserstein zu einer der ersten Malerinnen macht, die sich dieses Themas annahmen. Laserstein inszenierte Rose in zahlreichen Gemälden als das neue weibliche Ideal der Weimarer Republik. Eine über platonische Freundschaft hinausgehende Beziehung zu Rose kann im Nachlass Lasersteins nicht nachgewiesen werden.
Schätzungsweise 10.000 Arbeiten umfasst das Gesamtwerk Lotte Lasersteins. Darunter sind für die Berliner Jahre etwa 300 Gemälde und 100 Zeichnungen nachgewiesen. Mit der Zeit des Nationalsozialismus endete ihre Tätigkeit nach und nach. Ab 1933 konnte sie ihren Beruf nicht mehr ausüben. Auch aus ihrem Amt im Vorstand des Vereins der Berliner Künstlerinnen wurde sie 1933 entlassen und war auf öffentlichen Ausstellungen nicht mehr vertreten. Nach 1933 verdiente Laserstein ihren Lebensunterhalt, als private Aufträge zunehmend abnahmen, durch privaten Kunstunterricht. 1927 hatte sie eine private Malschule eröffnet, in der sie Kunststudentinnen auf das Akademiestudium vorbereitete. Seit 1933 wurde diese Schule als jüdisches Unternehmen eingestuft und 1935 geschlossen. Lotte Laserstein arbeitete in den folgenden zwei Jahren als Zeichenlehrerin an einer jüdischen Privatschule.
1938 ging sie in Schweden eine Scheinehe ein
Im Dezember 1937 emigrierte Laserstein nach Schweden. Verbunden mit einer Ausstellung ihrer Werke in einer Stockholmer Galerie, nutzte sie die Gelegenheit, Deutschland mit dem Großteil ihrer Bilder zu verlassen. Um die schwedische Staatsbürgerschaft zu erhalten, ging sie 1938 eine Scheinehe ein. Sie lebte ab 1937, dem Jahr ihrer Flucht nach Schweden, überwiegend von Auftragsporträts. Sie malte bis zu ihrem Tod Porträts und Landschaften. Während des Zweiten Weltkriegs bemühte Laserstein sich vergeblich, auch ihre Mutter sowie ihre Schwester Käthe und deren Lebensgefährtin nach Schweden zu retten. Die Mutter wurde 1943 im KZ Ravensbrück ermordet. Der Schwester gelang es im August 1946, nach Schweden zu kommen. Bis zu ihrer Rückkehr nach Berlin 1954 lebten die Schwestern zusammen, Käthe Laserstein starb 1965. Lotte selbst starb 1993 im schwedischen Kalmar.
Publiziert und wissenschaftlich gewürdigt wurde die Künstlerin erst im 21. Jahrhundert. In Deutschland wird sie durch die Ausstellung "Lotte Laserstein (1898–1993) – Meine einzige Wirklichkeit" wiederentdeckt, die von der Kunsthistorikerin Anna-Carola Krausse für Das Verborgene Museum erarbeitet wurde und 2003 im Museum Ephraim-Palais der Stiftung Stadtmuseum Berlin stattfand. 2009 erwarb die Berlinische Galerie den dokumentarischen Nachlass der Künstlerin als private Schenkung. Neben Werkfotografien umfasst das Material Skizzenbücher, private und berufliche Korrespondenz, Unterlagen zu Ausstellungsbeteiligungen sowie Bücher aus der Bibliothek Lasersteins. Der Hauptteil des Nachlasses umfasst Lasersteins Zeit in Schweden, aus der Berliner Zeit sind wenige Unterlagen erhalten. Seit 2010 ist die Nationalgalerie in Berlin im Besitz des Gemäldes Abend über Potsdam aus dem Jahr 1930. Es gilt als "Hauptwerk" Lasersteins.
Nach Ende seines Vortrags durfte Gunter Schmidt noch zahlreiche Fragen aus dem Kreis der rund 50 interessierten Zuhörerinnen und Zuhörer beantworten.