Eine pyromanische Pauline, ein aggressiver Friedrich, ein in die Luft guckender Hans, ein magersüchtiger Kasper und ein Peter, der absolut nichts von körperlicher Hygiene hält – wer diese Geschichten im „Struwwelpeter“ niederschrieb, war Dr. Heinrich Hoffmann, seines Zeichens Nervenarzt. Und scheinbar gab es bereits im Jahr 1854 Kinder mit ADHS. Wie sonst ist die Geschichte vom Zappel-Philipp zu erklären?
Am Dienstag stellte Professor Dr. Reiner Buchhorn, Chefarzt der Kinder- und Jugendmedizin am Caritaskrankenhaus in Bad Mergentheim, seine Studien zum Thema ADHS bei Kindern dem Jugendhilfeausschuss vor. Er kam zu dem Schluss, dass die Ernährung einen großen Einfluss habe.
Herz-Rhythmus-Störungen
„In der heutigen Zeit ist das Krankheitsbild eher zunehmend“, so Professor Dr. Reiner Buchhorn. Er stellte dem Jugendhilfeausschuss des Kreistages seine neuesten Untersuchungsergebnisse zum Thema Aufmerksamkeits-Hyperaktivitäts-Defizit-Syndrom (ADHS) bei Kindern vor. Laut Buchhorn habe sich die Zahl der psychologischen Behandlungsfälle bei Kindern von 1990 bis zum Jahr 2008 verdreifacht. Er geht davon aus, dass in den USA etwa zehn Prozent und in Deutschland fünf bis sechs Prozent aller Kinder an ADHS leiden. Die Hälfte davon wird medikamentös behandelt.
„Ist es ein Hirngespinst? Sind wir heute zimperlicher, oder gibt es tatsächlich messbare Veränderungen“, dieser Frage geht er in seinen Studien nach.
Mit einem Langzeit-EKG untersuchte Buchhorn Veränderungen des Herzschlags bei Kindern. Bei Wut oder Angst reagiert der Körper mit einem veränderten Herzschlag. Er fand heraus, dass bei Kindern mit ADHS das Herz in einem ganz anderen Bereich schlägt, als bei nicht erkrankten Kindern. „Diese Veränderungen sind wie bei schweren Herzfehlern“, so Buchhorn. Er widerlegt damit die These, dass ein Mädchen, das heute in Bad Mergentheim geboren wird, einhundert Jahre alt werden kann. „Das wird nicht so sein. Bei diesem Trend werden immer mehr Herz-Rhythmus-Störungen auftreten“, so Buchhorn.
Keine Regeneration mehr
Bei den insgesamt 156 untersuchten Kindern stellte Buchhorn fest, dass Kinder heute wesentlich weniger regeneratives Potenzial haben als noch vor 15 Jahren. „Gesunde Kinder sind heute erheblich mehr gestresst.“
So habe die Hälfte der gesunden Kinder heute keinen messbaren Unterschied zwischen Tag (Stress) und Nacht (Regeneration) aufgezeigt. Im Normalfall ist dieser messbare Unterschied bei Kindern im Alter zwischen zehn und 15 Jahren am höchsten. Sie haben die höchste Regeneration. Zum Alter hin nimmt der Unterschied wieder ab.
Weltweite Untersuchungen haben gezeigt, dass die glücklichsten (oder stressresistentesten) Kinder in Indien leben. „Es scheint also ein Problem der westlichen Industriestaaten zu sein“, resümiert Buchhorn.
In einer am Dienstag erstmals der Öffentlichkeit vorgestellten Studie kommt Buchhorn zu dem Schluss, dass ein Zusammenhang zwischen Bodymaßindex (BMI) und Herzrhythmusveränderungen besteht. „Wir müssen demzufolge die Ursache in der Ernährung suchen“, so Buchhorn. Er will diesbezüglich seine Forschungen weiter betreiben.
Im Jugendhilfeausschuss entfachte er eine Diskussion über den Einfluss der sozialen Herkunft und des gestiegenen Medien-Konsums in Bezug auf psychische Erkrankungen bei Kindern.
Wie macht sich ADHS bemerkbar
Unaufmerksamkeit: Leichte Ablenkbarkeit und Schwierigkeiten, längere Zeit aufmerksam bei einer Sache zu bleiben oder Aufgaben zu koordinieren.
Hyperaktivität: Zappeln mit Händen und Füßen; Herumrutschen auf dem Stuhl, Aufstehen, wenn Sitzenbleiben erwartet wird sowie Umtriebigkeit.
Impulsivität: Das Kind platz mit Antworten heraus und wartet nicht ab, bis es an der Reihe ist. Ständiges Stören des Unterrichts. Zudem zeigt es starke Stimmungsschwankungen.
Hilfe bei Verdacht auf ADHS:
Neben dem Hausarzt sind spezialisierte Kinder- und Jugendärzte sowie Psychologen Ansprechpartner, beispielsweise in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin im Caritaskrankenhaus in Bad Mergentheim, Uhlandstraße 7, 97980 Bad Mergentheim, Tel. (0 79 31)58-23 01 oder die
Psychiatrische Institutsambulanz und Tagesklinik für Kinder und Jugendliche in Tauberbischofsheim, Bahnhofstraße 13, 97941 Tauberbischofsheim, Tel. (0 93 41) 8 47 96-10.
Im Internet unter www.adhs.de