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MANNHEIM
Abgezockt und ausgebeutet
dpa
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:02 Uhr

Sozialschmarotzer, Diebe, Gauner – Bulgaren sehen sich in Deutschland mit Vorurteilen konfrontiert. Dabei werden manche auch von Vermietern abgezockt und als billige Arbeitskräfte missbraucht. Als Schauspieler Limeik Topchi Ende 2011 aus Bulgarien nach Deutschland zog, ahnte er nicht, was für schlimme Zeiten auf ihn zukommen würden. Der 30-Jährige träumte von einem besseren Leben - und landete stattdessen in miserabel bezahlter Arbeit und einer heruntergekommenen, völlig überbelegten Wohnung in Mannheim – der Stadt mit dem zweitgrößten Anteil an bulgarischen Zuwanderern in Deutschland. Auf 10 000 Einwohner kommen in Mannheim 141 Bulgaren.

Gnadenlos abgezockt

Topchi tappte in die Falle, in die viele Bulgaren tappen, wenn sie nach Deutschland kommen: Weil sie kaum Deutsch sprechen, geraten sie in die Fänge von Geschäftemachern und werden von diesen gnadenlos abgezockt. Viele Bulgaren gingen nicht auf kostenlose Hilfen ein, weil sie wegen schlechter Erfahrungen in ihrer Heimat den Behörden misstrauten, sagt der Mannheimer Migrationsbeauftragte Claus Preißler. Stattdessen würden sie zum Opfer von Kriminellen, die Formulare gegen Geld ausfüllten und ihnen unnütze Versicherungen unterjubelten.

Oft schufteten sie schwarz auf Großbaustellen und glaubten, das sei legal, nur weil sie einen Gewerbeschein hätten.

Die Neuankömmlinge in Mannheim stammten meist aus armen Verhältnissen und hätten im Extremfall nicht einmal einen Schulabschluss, sagt Gabriel Höfle, Quartiersmanager der Neckarstadt-West, dem Stadtteil mit dem höchsten Bulgaren-Anteil. Auf dem Arbeitsmarkt hätten diese Menschen keine Chance. Das treibe sie in den Niedrigstlohnsektor.

Abschlüsse nicht anerkannt

Topchi brachte zwar Abschlüsse mit, doch sie waren nicht anerkannt. Der diplomierte Dramaturg arbeitete für wenig Geld als Kellner und Verkäufer – 13, 14 Stunden am Tag, ohne Pause, ohne Essen. Eine Wohnung zu finden sei schwierig gewesen, erzählt er. Er habe immer wieder zu hören bekommen: „Bulgaren wollen wir hier nicht, das sind sehr schlechte Menschen.“

Bulgarien ist seit dem Jahr 2007 EU-Mitgliedstaat. Schmarotzer, Diebe, Bettler – in Deutschland gibt es viele Vorurteile gegenüber Bulgaren. Diese schlügen auch auf den Wohnungsmarkt durch, bestätigt Preißler: „Selbst bulgarische Akademiker finden oft keine Wohnung.“ Bulgaren ohne gesichertes Einkommen hätten dabei erst recht schlechte Karten, sagt Höfle. Sie müssten zu Wucherpreisen Wohnungen in „Schrottimmobilien“ mieten. Für Schlagzeilen sorgte eines dieser vernachlässigten Häuser 2014, als wegen eines falsch verlegten Stromkabels ein Brand ausbrach und drei Kinder starben.

Integrationslotsen helfen weiter

Eigentlich müssten die Neuankömmlinge erst einmal einen Deutschkurs besuchen, um überhaupt eine Chance zu haben, sagt Preißler. Topchi ist diesen Weg gegangen. Seit Januar hilft er als Integrationslotse beim Quartiersmanagement Bulgaren, die nach Mannheim auswandern.

Was er zu hören bekommt, macht ihn manchmal sprachlos. So habe ein Vater drei Monatsmieten Kaution für eine Wohnung hinterlegt - und der Vermieter habe mitten im Winter einfach das Schloss ausgetauscht, so dass die Familie im Auto leben musste. Höfle berichtet von einer Bulgarin, die eine Stromrechnung von 4000 Euro bekam - der Vermieter hatte das ganze Haus auf sie angemeldet. Die Lotsen begleiten die Betroffenen zur Polizei und helfen ihnen bei Gerichtsprozessen.

Schwierige politische Situation

Dass immer mehr Bulgaren nach Deutschland kommen und trotz widriger Umstände bleiben, hat laut Höfle mit der schwierigen wirtschaftlichen und auch politischen Situation in ihrer Heimat zu tun. Vor allem Minderheiten wie Roma lebten dort oft im Elend. Überhaupt arbeiten zu können, sei für viele Migranten, die nach Deutschland kommen, schon ein Fortschritt.

Dass nach Mannheim besonders viele Bulgaren kommen, erklärt sich Preißler mit der besonderen geografischen Lage im Dreiländereck zwischen den Bundesländern Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz. Dubiose Geschäftemacher, die die Zuwanderer ausbeuteten, nutzten dies für sich aus, sagt er. Wenn ein Bulgare in einem Bundesland arbeite, im anderen seinen Gewerbeschein anmelde und im dritten wohne, mache das Ermittlungen etwa wegen Scheinselbstständigkeit kompliziert.

Limeik Topchi hat geschafft, wovon viele Bulgaren in Mannheim nur träumen können: Er hat sich in Deutschland ein neues Leben aufgebaut. Derzeit spielt er die Hauptrolle in William Shakespeares „Der Sturm“, das der Regisseur Hansgünther Heyme in der Neckarstadt-West gemeinsam mit Deutschen und Bulgaren auf die Bühne bringt. „Ich bin glücklich, dass ich endlich wieder Theater machen kann“, sagt Limeik Topchi.

 
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