
Zum vierten Mal laden „Literatur im Schloss“ und die Stadt Bad Mergentheim am Sonntag zur „Winterlese“, dem großen Büchermarkt unabhängiger Verlage, ins Residenzschloss Mergentheim ein. Ulrich Rüdenauer, Literaturjournalist, der in Bad Mergentheim und Berlin lebt, und Mitveranstalter der "Winterlese", spricht im Interview über das Anliegen der Bücherschau.
Ulrich Rüdenauer: Beatrice Faßbender, die beim Berenberg Verlag in Berlin arbeitet und immer wieder "Literatur im Schloss"-Veranstaltungen moderiert, kam die Idee dazu. Sie hatte in den Jahren zuvor viele derartige Büchermärkte besucht, die es zum Beispiel in Städten wie Hannover, München, Berlin oder Stuttgart gibt – und hat sehr davon geschwärmt. Denn für kleine Verlage ist es oft schwer, präsent zu sein, in den meisten Buchhandlungen liegen vorwiegend Bestseller und bekannte Titel auf den Präsentiertischen. Solche Büchermärkte sind für unabhängige Verlage deshalb eine wunderbare Gelegenheit, ihr Programm vorzustellen, mit Leserinnen und Lesern ins Gespräch zu kommen und natürlich auch Bücher zu verkaufen. Wir überlegten, ob sich dieses Format in unsere Reihe "Literatur im Schloss" einbinden lässt. Ich muss zugeben: Anfangs war ich skeptisch, da das Einzugsgebiet verglichen mit München oder Stuttgart doch eher begrenzt ist. Aber wir sind ins kalte Wasser gesprungen, und es hat auf Anhieb funktioniert. So gut, dass wir die "Winterlese" fortsetzen wollten und 2019 sogar über 900 Interessierte ins Schloss kamen.
Rüdenauer: Unabhängig meint, dass der Verlag nicht zu einem Konzern gehört, in kleinen Strukturen funktioniert und sich oft auch in einer bestimmten Nische bewegt. Häufig sind das zwei, drei Personen, die nicht vorrangig Rücksicht auf größere Gewinnmargen nehmen müssen, anders als bei Konzernen. Unabhängige Verlage arbeiten meist sehr idealistisch und mit viel Begeisterung und Leidenschaft. Irgendwer sagte mal: "zwischen Selbstverwirklichung und Selbstausbeutung". Viele dieser Verlage sind übrigens in der Kurt Wolff Stiftung zusammengeschlossen, auch die meisten, die bei der "Winterlese" mit dabei sind. Diese Interessenvertretung stellt Öffentlichkeit her, bringt jährlich einen Katalog heraus, der Kurt-Wolff-Preis wird vergeben, und die Stiftung agiert auch politisch. So gibt es unter anderem dank der Kurt Wolff Stiftung seit einigen Jahren den Deutschen Verlagspreis. Namensgeber Kurt Wolff war Anfang des 20. Jahrhunderts der Verleger von Autoren wie Franz Kafka oder Georg Trakl, aber eben als sie noch nicht berühmt waren. Dieser Kurt Wolff hat einmal gesagt: "Man verlegt entweder Bücher, von denen man meint, die Leute sollen sie lesen, oder Bücher, von denen man meint, die Leute wollen sie lesen. Verleger der zweiten Kategorie zählen für uns nicht – nicht wahr?". Diesen aufklärerischen Anspruch finde ich passend für die Verlage, die bei uns zu Gast sind.
Rüdenauer: Unser Anliegen ist es, dass Menschen auf Themen und Geschichten stoßen, nach denen sie gar nicht gesucht haben und die sie trotzdem beeindrucken. In großen Buchhandlungen wirst du viele der Bücher, die bei der "Winterlese" präsentiert werden, nicht leicht finden. Man kann diese Bücher freilich jederzeit bestellen, aber dazu muss man ja erst einmal wissen, dass es sie überhaupt gibt.

Rüdenauer: Die Vorbereitungen starten bereits im Februar, auch in den vergangenen beiden Coronajahren haben wir geplant, mussten aber doch absagen. Da die "Winterlese" für uns als Veranstalter – das sind Literatur im Schloss, Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, die Buchhandlung Moritz und Lux und die Stadt Bad Mergentheim – einen finanziellen Aufwand bedeutet, schreibe ich zu Beginn Anträge, etwa an das Land, konkret an das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Dieser Zuschuss ist daran gebunden, dass sich die Stadt beteiligt. Ist die Finanzierung in trockenen Tüchern, kontaktiere ich weitere Sponsoren und schaue nach einem Termin. Anschließend fragen wir Verlage an, und Ende des Sommers entscheiden wir, wie wir die Lesungsplätze des Tages vergeben. Mit dem fertigen Programm gestalten wir Plakate und Flyer und beginnen mit der Werbung.
Rüdenauer: Es gab Überlegungen, die Veranstaltung in den Sommer zu verlegen, doch das haben wir wieder verworfen, da es schwierig gewesen wäre, einen freien Termin zu finden. Ja, Corona ist bei uns im Hinterkopf, aber Masken geben jenen, die sie tragen mögen, doch eine gewisse Sicherheit. Ich glaube, dass es im Moment noch ein wenig Zurückhaltung gibt und viele Veranstaltungen einen Besucherschwund verzeichnen. Das hat aber gar nicht mehr nur mit der Angst vor einer Ansteckung zu tun. Vielleicht mit der allgemeinen Krisensituation auf der Welt? Oder einer Entwöhnung? Ich bin dennoch enorm zuversichtlich. Die "Winterlese" ist ja sehr niedrigschwellig: Sie ist kostenfrei, und man kann kommen und gehen, wann und wie man möchte, sich auch nach dem eigenen Sicherheitsbedürfnis richten. Und das Angebot ist sehr verlockend: Die Verlage präsentieren Kinderbücher, Sachbücher, Romane, Krimis und so weiter. Man kann plaudern, auch mit den anreisenden Autorinnen und Autoren, das Lesungsprogramm ist sehr vielfältig und spannend. Und man kann sich mit Weihnachtsgeschenken eindecken – was ist schöner als ein Buch unterm Weihnachtsbaum?