Am 10. Dezember wird der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen 1948 gedacht. Darin heißt es zu Anfang: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Im Interview erklärt der ehemalige Pastoralreferent Reinhold Grimm aus Marktheidenfeld, der sich seit September in der Amnesty-International-Gruppe Main-Spessart engagiert, warum vor allem die katholische Kirche ihre Sicht auf die Gleichstellung von Mann und Frau verändern und sich stärker für die Durchsetzung der Menschenrechte einsetzen muss.
Reinhold Grimm: Von ihrem Verständnis her sind die christlichen Kirchen für mich die ersten NGOs (Nicht-Regierungs-Organisation), die sich für Menschenrechte einsetzen müssen. Sie glauben, dass der Mensch ein Geschöpf und ein Abbild Gottes ist. Dennoch werden beispielsweise Mann und Frau in der katholischen Kirche ungleich behandelt. Es gibt keine wirklich überzeugenden Belege, die das rechtfertigen.
Grimm: Die Kirche als Organisation hat ein schwieriges Verhältnis zu den Menschenrechten. Es ist immer einfacher, sich für andere einzusetzen, als in den eigenen Reihen aufzuräumen. Einzelne Kirchenmitglieder haben sich schon immer für Menschenrechte eingesetzt. Beispielsweise gab es in den sogenannten Entwicklungsländern nicht nur Missionare, die Menschen zwangsweise katholisch gemacht haben, sondern es gab auch viele, die sich für die Grundrechte der Menschen eingesetzt haben.
Grimm: Ich denke, das liegt daran, dass viele Verantwortliche innerhalb der Kirche das nicht wollen. Sie haben Angst, dass das Machtsystem, wie es sich über Jahrhunderte entwickelt hat, und von dem in der Regel Männer profitieren, in sich zusammenfällt. Die Kirche versucht deshalb – um die eigene Meinung zu bestätigen – theologiegeschichtlich und anhand von Zitaten aus der Bibel Gottes Wille zu belegen.
Grimm: Wenn ich an einen Gott glaube, der Mann und Frau erschaffen hat und beide von Gott gewollt sind, warum muss dann dieser Gott herhalten, um zu rechtfertigen, dass es eine Ungleichbehandlung von Mann und Frau gibt? Das ist für mich als Theologe verlogen und eine Form von Gotteslästerung. Gott wird unterstellt, dass er nur Männer auswählt für bestimmte Dinge und damit Frauen die Qualität abspricht, das auch tun zu können. Und er wird benutzt. Würden die Verantwortlichen in der Kirche sagen, sie wissen nicht, was Gott "denkt", aber sie wollen das so, wäre das ehrlicher.
Grimm: Aus heutiger Sicht war die Gesellschaft auch rückständig, als in sehr vielen Lebensbereichen Männer dominierten oder eine Frau beweisen musste, dass sie einem Mann gleichwertig ist. Es ist noch gar nicht so lange her, dass bei uns Frauen ihre Ehemänner fragen mussten, ob sie arbeiten dürfen. Das ist heute zurecht unvorstellbar. Vergleichbaren Entwicklungen darf sich die Kirche jedoch nicht verweigern. Wenn sich die Herausforderungen einer Gesellschaft ändern und neue Fragen stellen, kann man darauf nicht nur Antworten aus dem Mittelalter geben.
Grimm: Über Themen wie Macht, die Rolle der Frauen, Sexualmoral oder priesterliche Lebensformen muss diskutiert werden und die Kirche ihre Haltung ändern. Eine solche Diskussion kann der Vatikan nicht verbieten.
Grimm: Die Kirche muss lernen, entschiedener die Menschenrechte umzusetzen. Weil vor allem Männer vom System profitieren sind sie es, die sich deutlich stärker engagieren müssen, damit sich etwas ändert: "Wir fordern Gleichwertigkeit von Mann und Frau, eine Gleichstellung von Mann und Frau beim Zugang zu Ämtern, eine Gleichstellung was die Sicht von Mann und Frau angeht."
Ein anderes Beispiel: Kirche kann und darf die Verantwortung über das Lebensende des Einzelnen nicht abnehmen. Wenn jemand nicht mehr so leben will, wie er lebt und es keine Aussicht auf Besserung gibt, soll jeder, der im Vollbesitz seiner geistlichen Kräfte ist, die Entscheidung über sein Leben(sende) selbst treffen dürfen. Sich hier auf Gottes Wille zu berufen, halte ich für falsch. Die Kirche weiß, was sie denkt, aber nicht, ob Gott auch so denkt.
Grimm: Ja, und das liegt geschichtlich bedingt daran, wie frei in den verschiedenen Kirchen gedacht oder diskutiert wurde und welche Traditionen herrschen, auch in gesellschaftlich kultureller Hinsicht. Letztlich entbindet es keine Religion, sich weiterzuentwickeln, wenn die Zeiten sich ändern.
Grimm: Wenn die katholische Kirche – und zwar an der Basis genauso wie auf höherer Ebene – nicht bereit ist, offen über diese Themen zu diskutieren, dann tut sie das auch nicht mit anderen Kirchen oder Religionen. Meine Beobachtung ist, dass es Ökumene als bewussten Akt der Auseinandersetzung mit Themen, die verbinden oder auch trennen, an der Basis nicht wirklich gibt. Das betrifft sowohl kircheninterne als auch gesellschaftliche und ethische Fragen. Allerdings gibt es auch hier Ausnahmen, nämliche Engagierte, die sich um eine echte Ökumene bemühen.
Glauhafter wäre die Kritik, wenn er längst aus der Kirche ausgetreten wäre.