
Sie verbringen jede Nacht in der Polizeiwache Marktheidenfeld und das völlig freiwillig und ohne kriminellen Hintergrund: Fledermäuse. Genauer gesagt eine Population der Großen Mausohrfledermaus. Ganz oben im Dachgebälk des denkmalgeschützten Hauses haben sie ihren Hangplatz gewählt. Und das schon seit vielen Jahren. "Wir sehen uns relativ selten. Höchstens die Kollegen vom Nachtdienst", beschreibt Michael Zimmer, Dienststellenleiter in Marktheidenfeld und lacht.
An diesem Mittwoch aber bekommt die hängende Horde unter dem Dach Besuch. Denn es ist Zähltag. Matthias Hammer von der Koordinationsstelle für Fledermausschutz Nordbayern an der Universität Erlangen-Nürnberg ist zu diesem Zweck extra angereist. Ursprünglich stammt er aus Karlstadt, arbeitet aber seit über 30 Jahren an dieser staatlichen Beratungsstelle. Er wird begleitet von Claudia Beyer von der Höheren Naturschutzbehörde der Regierung von Unterfranken, Jane Seufert von der Unteren Naturschutzbehörde aus dem Landratsamt Main-Spessart und Thomas Mantel, ehrenamtlicher Fledermausberater aus Lohr. Ausgerüstet mit langen Stab-Taschenlampen und Klick-Zählern folgen sie Michael Zimmer die Stufen zum Dachboden hoch.
"Wir zählen die Fledermäuse einmal pro Jahr durch. Schauen, ob sich die Zahlen verändert haben, ob es Probleme gibt? Schauen nach toten Tieren. Beobachten aber auch: Wie nutzen sie das Quartier?", erklärt Matthias Hammer. Dadurch bekommt man einen guten Überblick und Einblick, wie es den Populationen geht. Warum das so wichtig ist? "Fledermäuse gehören zu den geschützten Tieren. Es gibt über 20 Arten in Bayern und die gilt es zu erhalten", erläutert der Biologe.

Er steht mittlerweile in dem weitläufigen Dachgeschoss und leuchtet mit seiner Taschenlampe das Gebälk ab. Kleine Kothaufen auf dem Boden zeigen, an welchen Stellen besonders viele Tiere hängen. Und tatsächlich, immer wieder escheinen im Lichtkegel kopfüber die hellbraunen Fellknäuel mit den großen Ohren. Zudem fiept und piepst es quer durch den Raum. "Das sind die Mütter mit ihren Jungtieren, die sich sozusagen unterhalten", erklärt Hammer.
Ebenso wie Frösche und viele Vögel kommen auch die Fledermaus-Weibchen zur Geburt ihrer Jungtiere immer wieder in die eigene Kinderstube zurück. Den Winter verbrächten sie im Winterschlaf in frostfreien Höhlen oder Kellern. Dabei flögen manche bis in die Fränkische Schweiz, manche überwinterten aber auch vor Ort, zum Beispiel in den historischen Felsenkellern in der Lengfurter Straße in Marktheidenfeld, berichtet er.
Ende Mai, Anfang Juni kommt dann der Fledermaus-Nachwuchs zur Welt. Bis er sich nach draußen wagt, wird er vier bis sechs Wochen gesäugt. Und er braucht erstmal ein paar Flugstunden unter dem Gebälk. Der geräumige, hohe Dachboden der Polizeiwache ist dafür ideal. Der Standort biete aber noch mehr Vorteile: Die Tiere werden hier geduldet und sind ungestört. Man betreibe auch keinen Fledermaustourismus, so Polizeichef Zimmer. Selbst von den Kolleginnen und Kollegen käme kaum einer hier hoch. Allerdings galt lange Jahre die Ansage im Polizei-Team, von Mai bis Oktober die Dachluke als Einflugschneise für die Fledermäuse geöffnet zu halten. Bis sich herausstellte: Die Tiere kommen gar nicht durch das Fenster, sondern durch eine kleine Öffnung am Kamin herein.
Eingänge unbedingt erhalten: "Fledermäuse sind sehr unflexibel, was ihre Öffnungen angeht"
"Solche Details zu den Aufenthaltsorten sind auch Teil unserer Beobachtungen", erklärt Biologe Hammer. Sie werden vor allem dann extrem wichtig, wenn eine Sanierung oder ähnliche Veränderungen an dem Gebäude anstehen. "Fledermäuse sind sehr unflexibel, was ihre Öffnungen angeht." Auch in Marktheidenfeld wurde der Spengler bei der Dachsanierung gebeten, ein kleines Loch für den Ein- und Ausflug am Kamin zu belassen - mit Erfolg.
Wunderbar geeignet für die Jungaufzucht ist das Marktheidenfelder Gebälk aber auch, weil sich durch das schiefergedeckte Dach unter dem First eine Art Wärmeglocke bildet, die vor allem an kühleren Tagen den Jungtieren gut tut. Wird es zu heiß, dann hängen die Tiere eher weiter unten und auseinander, um nicht zu viel Tuchfühlung zu haben.

So ist es auch heute. Nach einer guten halben Stunde ist die Zählung beendet. 169 Tiere und somit vier mehr als 2022 sind gezählt, zwei tote Jungtiere wurden am Boden gefunden. "Das ist eine sehr geringe Jungtiersterblichkeit und spricht für einen guten Mausohr-Sommer", ordnet Hammer ein. Die Population sei erfreulich konstant. Ihren Höhepunkt hatte sie 1999 mit ungefähr 200 Tieren, ihren Tiefpunkt in den Anfängen der Zählung 1987 mit nur zehn Tieren.
Start der Zählungen 1987: "Damals ging es den Fledermäusen sehr schlecht"
"Damals ging es den Fledermäusen sehr schlecht", erzählt der Biologe. Aus diesem Grund wurden 1985 vom Umweltministerium auch die Koordinationsstelle für Fledermausschutz in München und Erlangen eingerichtet, mit den Zählungen in Marktheidenfeld begonnen wurde 1987. Seit 1993 finden sie jährlich statt.
Um halb zehn verlässt die kleine Gruppe der Fledermaus-Zähler wieder das Dachgeschoss und letztlich auch die Polizeiwache in Marktheidenfeld. Michael Zimmer geht zurück in seinen Polizei-Tag. Auf die Zähler warten noch viele weitere Fledermäuse in Rothenfels, in Rodenbach, in Lohr, auf der Scherenburg oder im Saaletal. Als letztes Ziel steht das Schloss Laudenbach auf der Liste. "Da weiß der Nacken abends, was er getan hat", erzählt Hammer. Aber das ist es den Fledermaus-Schützern wert.
"Es ist gut, bei den Beobachtungen dabei zu sein und die Quartiere zu kennen", erzählen auch Jane Seufert und Claudia Beyer. Denn es kommen immer wieder Anfragen aus der Bevölkerung. Auch Thomas Mantel nimmt einiges mit aus dem Tag. Vor allem derzeit, wo das Telefon kaum still stehe und viele Jungtiere gefunden werden. "Die Leute sind oft unsicher und haben viele Fragen", erzählt der ehrenamtliche Berater. Da sei es gut, einen breiten Hintergrund zu haben.
Wer sich im Landkreis Main-Spessart ehrenamtlich im Fledermaus-Schutz engagieren möchte, kann sich unter Tel.: (09353) 7931839 oder per E-Mail Naturschutz@Lramsp.de an Jane Seufert wenden.