"Lustig in Ehren kann niemand verwehren", war einst an die Südwand des Tanzsaales gemalt. Der Spruch, das dazu tanzende Trachtenpaar, ist heute übermalt. Der Boden aber erzählt sie noch, die Geschichte der "Krone" im Lohrer Stadtteil Rodenbach.
Die dunkel gebeizten Dielen sind Lärchenholz, sagt Thomas Kohnle. Der professionelle Fotograf und Fotokünstler hat einen Blick fürs Detail. Und Respekt vor den Geschichten der Vergangenheit. "Ich hab ziemlich viel Fantasie", holt der 64-Jährige aus. "Hunderte von Hochzeiten und Geburtstagsfeiern" habe der Saal wohl erlebt, "Blut, Schweiß und Tränen. Und der Boden hat alles aufgesaugt."
Die Wirtschaft gab es schon seit mindestens 1839, der Saal wurde erst 1903 angebaut. Dort probte der zwei Jahre zuvor gegründete Sängerkreis Eintracht, dort wurde die Kirb gefeiert, bei der schon mal fünf Dutzend Hühner verzehrt wurden, wie es in einem alten Zeitungsbericht heißt. Dort wurden Christbäume versteigert und hielt der Rodenbacher Carnevalsverein 1961 seine ersten großen bunten Abende ab. Die Premiere war übrigens um eine Woche verschoben worden wegen eines staatlichen Veranstaltungsverbots nach einer Unwetterkatastrophe.
Als 1965 der Elferrat etabliert wurde, bot die Stirnseite grade mal Platz für die elf Narren und den zwölften in der Bütt, bis die Carnevalisten ins 1986 eingeweihte Sportheim umzogen. Auch sie trugen bei zur Patina auf dem Boden, der angeblich von unten mit Bohlen abgestützt wurde, wenn Tanz war. Die Bohlen sind nicht abgeschliffen, nicht renoviert. "Vintage, sagt man heute dazu", sagt Kohnle.
Der ehemalige Tanzsaal ist nun Atelier
Vor vier Jahren hat der Fotograf im ehemaligen Tanzsaal sein Atelier eingerichtet. Zuvor hatte der Lohrer Maler Richard Kuhn "sein Ding" dort gemacht. In der Ecke steht ein imposanter Holzofen mit beeindruckendem Rohr. Er wärmt Kohnle den Rücken, wenn er an seinem antiken Schreibtisch sitzt. Der Ventilator an der Decke verwirbelt die Luft. An den Wänden: kleine und auch großformatige Fotos made by Kohnle. Beeindruckende Porträts. Verfremdete Strukturstudien. Kaum wiederzuerkennen: ein riesiger Haufen Bruchglas eines Recycling-Betriebs über dem schwarzen Sofa.
Abgetrennt ist das Schlafzimmer im Norden, nur halb so groß wie der Saal, ausgespart eine kleine Ecke – die Küche mit Fenster zum Atelier. Eingerahmt neben der Scheibe: Vier Fotostudien von Joseph Beuys aus der Zeit, als Kohnle noch als Fotojournalist unterwegs war. "Mehr brauch ich nicht", sagt er. Vom Ziegelbau führt eine gewundene Treppe zur Unteren Gasse, die noch keinen Namen trug, als der Saal an das Gebäude Nummer 21 angebaut wurde. Als dessen Eigentümer wurde 1839 der "Steinhauer und Wirth" Johann Philipp Bippus genannt, wie der Rodenbacher Hobby-Forscher Rainer Kempf herausgefunden hat.
Der Blick aus dem Saalfenster fällt auf den Schriftzug an der Südwand von Haus 21: "Gastwirtschaft zur Krone Colonialwaren-Handlung Geschw. Völker". Die Familie Völker wirkte hier ab 1864 bis 2006, als die letzte Wirtin Erna Völker 86-jährig starb. Zehn Jahre später hat Ulf Schröpfer, der Wirt des Café Mann in Lohr, das Anwesen erworben, die ehemalige Gaststube im Tiefparterre sowie den Tante-Emma-Laden einen Stock höher zu Wohnungen umgebaut.
Dächer und Giebel versperren den Blick zum Main. Sichtbar nur die Häuser am anderen Ufer, jene am Platte-Hang von Pflochsbach. Die beiden Dörfer, seit den 1970ern Stadtteile von Lohr, liegen Luftlinie vier Kilometer südlich vom Stadtzentrum. Rodenbach hat rund 850 Einwohner, Pflochsbach wenig mehr als halb so viel. Südöstlich der Krone ein weiterer Ziegelbau, 1909 gebaut als Scheune mit Viehstall und Futterkammern, die ein abgebranntes Gebäude ersetzten. Die Fenster zum Nachbarhaus auf der anderen Seite der schmalen Gasse – den Kellereingang ziert die Jahreszahl 1796 – hat Kohnle mit einer durchscheinenden Folie beklebt. Zu nah die Nachbarhäuser. Beengend ansonsten das Gefühl.
Dörfer müssen von innen belebt werden
Der Weitblick ist so ziemlich das einzige, was Kohnle vermisst. Deshalb sehnt er sich nach einem nahen, grünen Freizeitgrundstück mit Platz für ein Lagerfeuer und eine Hängematte. Abgesehen davon lebt er gerne im Zentrum des Dorfes mit den zwei Kirchen. "Dörfer müssen von innen her belebt werden", sagt er und macht seinem Vermieter ein Kompliment: "Das ist ein schönes Beispiel, wie man im Altort wohnen kann. Das hat der Ulf gut hingekriegt."
Leben und arbeiten in einem ehemaligen Wirtshaus ist für Kohne fast schon Normalität. Aufgewachsen ist er im damaligen Hotel Zur Post in Lohr. "Als Kind war's schön – ein Riesen-Spieplatz, viele Kontakte. Als Jugendlicher dann aber ätzend, weil man eine öffentliche Person ist und fast jeder einen gekannt hat – aber ich sie nicht." Den Tanzsaal dort kannte er nur vom Hörensagen: Er war schon früh zu Zimmern umgebaut worden.
Kohnle lernte das Internat in Gaibach von innen kennen, die Bundeswehrkaserne in Hartheim, begnügte sich während und nach seiner Fotografen-Lehre in Würzburg, Bad Kissingen und Alzenau mit Mietzimmern, kam in Stuttgart und München bei Kumpels unter und landete 1983 schließlich in der nächsten Wirtswohnung: im "E-Punkt" im Münchner Stadtteil Haidhausen. Erst wohnte er im Vorderhaus, dann im Hinterhaus, dann wieder vorne. Das war die Zeit, in der er für den Stern und den Berthelsmann-Verlag fotografierte, für die Magazine von BMW, Die Zeit und die Süddeutsche Zeitung.
Nach 20 Jahren hatte er die Schnauze voll von München, von der "Juppisierung". So nennt er die Verdrängung von Künstlern und Pennern, Ausländern und Studenten durch besser Verdienende. Drei Jahre lebte er in der 70.000-Einwohner-Stadt Zadar in Kroatien. Es folgten fünf Umzüge in fünf Jahren: München, zweimal Erlach, zweimal Lohr. In Lohr blickte er auf das Hotel Krone, in Erlach wohnte er erst im ehemaligen "Anker" und später in die Halbmondstraße, nur 100 Meter von der Gaststätte "Zum halben Mond" entfernt, 200 Meter vom Biergarten von Ewald Zehntel.
"Ich hab's mit Kneipen", sagt Kohnle. "Eine Kneipe ist für mich das moderne Lagerfeuer, das es heute leider nicht mehr gibt." Selbst Gastronom zu werden, war für ihn allerdings nie eine Option. "Ich hab gesehen, was das für ein Job ist", sagt er mit Blick auf die Eltern und sich selbst eingestehend: "Ich bin ein besserer Gast als Wirt."
Wobei er in Rodenbach auch immer wieder in die Rolle des Gastgebers schlüpft: Seine Einladungen zu Tagen des offenen Ateliers werde er fortsetzen, kündigt er an. Neuerdings treffen sich auch Mitglieder des kürzlich gegründeten Kreativnetzwerkes Main-Spessart in dem ehemaligen Tanzsaal mit den geschichtsträchtigen Bodendielen.