Wer aus Richtung Marktheidenfeld kommend das Ortsschild von Zimmern passiert, befindet sich streng genommen an drei Gemarkungen. Am Ende des Rödertals, dort wo der Fränkbach fließt und mehrere Mühlen stehen treffen Karbach, Roden und Zimmern aufeinander. Doch warum reichen die Grenzen so nah an den Main heran?
Bewusstsein erhalten
„Unser bevorzugtes Ziel ist es, das Bewusstsein für Vorgänge zu erhalten, die heute schlüssig erscheinen“, sagt Leonhard Scherg, Marktheidenfelder Historiker und ehemalige Bürgermeister der Stadt. Er arbeitete an der Erstellung des neuen Europäischen Kulturweges Marktheidenfeld 3, der den Titel „Rothenfelser Sonnenseite“ trägt, mit.
Dieser erklärt in verschiedenen Stationen die Geschichte des rund 500 Einwohner zählenden Stadtteils am Main, auch in Hinblick auf die obige Frage. „Aufgabe der Kulturwege ist es, die Besonderheiten von Orten, vor allem im ländlichen Raum, zu erfassen“, sagt Scherg. Und davon gäbe es einige.
Start an der Kirche
Der 7,5 Kilometer lange Kulturwanderweg startet in der Ortsmitte von Zimmern, an der St.-Michaels-Kirche. Er führt in Richtung Nordwesen über die Erlacher Straße, vorbei „Am Fahr“. Dort verkehrte bis 1964 die Fähre nach Rothenfels, dem eins bedeutenden Amts-, Gerichts- und Handelszentrum der Region.
Schon vor 1342 wurde Rothenfels zur Stadt erhoben. Die Besitzer der Burg, die Grafen von Rieneck, sowie später das Hochstift Würzburg, bestimmten die Geschichte der Stadt – ebenso wie die von Zimmern, die immer miteinander verbunden war. So besaßen beispielsweise Rothenfelser Äcker auf der anderen Mainseite.
1964 verschwand die Fähre
Als die kleine Stadt mit der Zeit immer mehr an Bedeutung verlor, stellte man im Jahr 1964 auch den Fährbetrieb ein. Sieht man von dem Schleusensteg ab, war damit die letzte öffentliche Verbindung von Zimmern zur Stadt gekappt. Der Ausbau des Mains zur Großschifffahrtsstraße in den 1930er Jahren durch den Bau von Schleusen war ein gewaltiger Eingriff in die Landschaft.
Der Weg führt weiter zum Neuberg, dessen wirtschaftliche Bedeutung mit den Jahren fast vergessen wurde: Er beherbergt die ehemaligen Weinberge und Steinbrüche Zimmerns. Die Verbindung mit der städtischen Wirtschaft von Rothenfels und die für größere landwirtschaftliche Betriebe nicht geeignete eingeengte Lage zwischen Berg und Main förderten eine gewerbliche Entwicklung in Zimmern.
Als vor allem Wein getrunken wurde
Wein war früher das Alltagsgetränk der Menschen; er war wesentlich weiter verbreitet als er es heute ist. Anbau und Konsum gingen im 19. Jahrhundert stark zurück, weil immer mehr Bier tranken, das Klima kühl war und eine Vielzahl an Schädlingen in ganz Europa große Rebflächen zerstörten.
Oberhalb der Steilhänge steht der Sandstein nur wenige Meter unter dem Erdboden an. Daher gab es zahlreiche Steinbrüche. Die Waren wurden zum Teil an weite Ziele verschifft. Die örtlichen Sandsteine sind aber auch Basis der Gebäude am Ort, der Kirche und der ehemaligen Schule, wurden aber auch für Bildstöcke und Ziersteine an Häusern verwendet. Je weiter man jedoch den Anstieg hinterm Ort hinaufgeht, desto stärker wandelt sich das Bild. Denn zwischen Zimmern und Roden liegt der Übergang vom Sandstein zum Kalkstein.
Wer den Weg geht, für den öffnet sich an der Hangkante zum ersten Mal der Blick nach Rothenfels mit seiner imposanten Burg und hinein in den Spessart. Ganz im Norden stößt der Kulturwanderweg auf die Gemarkungsgrenze zu Roden, mit dem Zimmern seit jeher eng verbunden ist, zum Beispiel durch die kirchliche Betreuung durch Roden.
Arme Städter, reiche Bauern
Aber auch der Gegensatz zwischen den „armen Städtern“ aus Rothenfels/Zimmern und den reichen Bauern wurde deutlich gemacht, sagt Scherg: „Zimmern hat die Hoffart (Hochmut), Roden hat das Geld.“
Zurück geht es auf der Höhe, entlang der Steinwiese bis ins Rödertal, und von dort aus in den Ort. Kurz bevor der Fränkbach in den Main mündet, stehen einige Mühlenweiler. Überlieferte Namen wie Holz-, Gips-, Schmitts- oder Fuchsenmühle zeugen noch immer von ihrer früheren Funktion, dem Errichtungsort oder den Besitzern.
Um 1909 zog es in dieses idyllische Fleckchen sogar besonders illustre Familien, die dort die in Mode gekommene Sommerfrische verbrachten: Architekten, Ärzte, Banker oder Fabrikanten. Überhaupt galt das von der Sonne begünstigte Zimmern mit seinen Pensionen, Gasthäusern und dem Campingplatz als schicker Fremdenverkehrsort.
Das Tal der Mühlen
Doch wo machte man denn nun Urlaub? In Zimmern, Karbach oder Roden? Im Rödertal schiebt sich die Rodener Gemarkung wie ein Keil weit nach Westen vor. So gehörte etwa die Holzmühle zu Roden. Südlich von dem Gebiet beginnt bereits Karbacher Land mit der Fuchsen-, der Hessen- oder der Schmittsmühle. In Zimmern selbst gab es neben einer Gipsmühle um 1824 zwei weitere Anwesen, die das Wasser des Bachs zum Antrieb nutzten.
Warum die Grenzen der früheren Bauerndörfer Roden und Karbach bis fast an den Main heranreichen, kann Scherg nur vermuten: Als die Orte, die bis 1735 eine gemeinsame Gemarkung hatten, getrennt wurden, verlangten Karbach und Roden zumindest einen Teil der dazugehörigen Mühlen – und diese befanden sich nahe Zimmern, kurz vor dem Zufluss in den Main.
„Rothenfelser Sonnenseite“
Der Europäische Kulturweg Marktheidenfeld 3, der den Titel „Rothenfelser Sonnenseite“ trägt, wird am Samstag, 22. Oktober, eröffnet. Die Feier beginnt um 11.30 Uhr mit einem Mittagessen im Bürgersaal Zimmern. Serviert werden „Grumbernsubbe mit Pfanngeli oder Öpfelbloaatz“.
Um 13 Uhr ist Treffpunkt an der Ortskirche St. Michael. Dort wird Bürgermeisterin Helga Schmidt-Neder zusammen mit Leonhard Scherg und Gerrit Himmelsbach vom Archäologischen Spessart-Projekt die Besucher begrüßen. Es wirkt der Gesangverein Heimatliebe Zimmern mit.
Um 13.30 Uhr beginnt die geführte Wanderung von Station zu Station. Am Zipprichskreuz (Station 4) gibt es Kaffee und Kuchen. Gegen 17 Uhr sind die Wanderer zurück in der Zimmerner Ortsmitte.
Die 7,5 Kilometer lange Wegstrecke arbeitete Gerrit Himmelsbacher vom Verein Archäologisches Spessart-Projekt zusammen mit Vertretern der Stadt Marktheidenfeld, Interessierten aus Zimmern sowie Bürgern aus Roden und Karbach aus.
Die Stationen gehen ein auf Themen, die Zimmern im Laufe der Geschichte prägten: Zugehörigkeit zu Rothenfels und Fährverbindung über den Main, Weinbau und Steinbrüche, geologischer Übergang von Sand- zu Kalkstein, gemeinsame Gemarkung mit Roden, Mühlenweiler im Rödertal und ehemaliges Kloster Mattenstadt.
Mit diesem dritten Weg sind nun alle Marktheidenfelder Stadtteile kulturell erschlossen. Der Weg der Grafschaftsdörfer wurde 2012 eröffnet, den Marienbrunner/Glasofener Weg gibt es seit 2014. dfi


