Heroin zerstört Leben. Für Süchtige dreht sich alles nur noch um die Frage, wo der Stoff für den nächsten Schuss herkommt. Ein geregeltes Leben ist Abhängigen kaum mehr möglich. Drogenersatzprogramme sollen das ändern.
Am Lohrer Bezirkskrankenhaus (BKH) gibt es seit gut einem halben Jahr eine solche Substitutionsambulanz. Sie wurde eröffnet, nachdem der letzte niedergelassene Arzt, der im Landkreis die Substitution angeboten hatte, in den Ruhestand gegangen war. Als sich unter den niedergelassenen Ärzten keine Nachfolge fand, sprang das Bezirkskrankenhaus mit der Substitution ein.
Seither erhalten rund 15 Patienten im Alter zwischen etwa 25 und 50 Jahren in den eigens dafür eingerichteten Räumen der Ambulanz am BKH den Stoff, der ihnen nicht nur ein entzugsfreies Leben ermöglicht, sondern auch den täglichen Zwang zur oft mit kriminellem Handeln verbundenen Drogenbeschaffung nehmen soll.
Bönsch: Bedarf ist da
Nach einer erfolgreichen Anlaufphase plant das Bezirkskrankenhaus nun, die Substitutionsambulanz für deutlich mehr Patienten zu öffnen. Der Bedarf ist da. Das machten Dominikus Bönsch, Ärztlicher Direktor des BKH, und Peter Jadron, der die Ambulanz betreuende Oberarzt, im Gespräch mit dieser Redaktion deutlich. Bönsch schätzt die Zahl der Drogensüchtigen, die in Ersatzstoff-Programmen sind, im Landkreis auf rund 100. In Lohr wird also nur ein kleiner Teil von ihnen behandelt.
Der Rest, so Bönsch, pendle zu Arztpraxen oder Ambulanzen außerhalb des Landkreises, etwa nach Würzburg, Aschaffenburg oder gar Frankfurt. Etliche dieser Abhängigen hätten schon in der Lohrer Substitutionsambulanz angefragt, sagt Bönsch. Doch man habe erst eine gewisse Anlaufphase beobachten wollen und daher weitere Patienten zunächst abgeblockt. Jetzt, wo der Betrieb "reibungsarm" laufe, könne man das Angebot ausweiten.
Dass es überhaupt Engpässe bei der Substitutionstherapie gibt, liegt laut Bönsch an den schwierigen rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen, nicht zuletzt aber auch an der oft schwierigen Klientel. Etliche Abhängige hätten schon mehrere gescheiterte Entzugsversuche oder auch Aufenthalte in der Forensik hinter sich, schildert Bönsch. Manche seien äußerlich auffällig, weswegen niedergelassene Ärzte aus Angst vor einer Stigmatisierung ihrer Praxis lieber die Finger von der Substitution ließen.
Vorerst kein weitere Angebot
Bönsch räumt ein, dass die Aufgabe schwierig ist. "Aber wir können nicht so tun, als gäbe es das Problem nicht." Er werbe dafür, dass sich auch wieder niedergelassene Ärzte an den Substitutionsprogrammen beteiligen. Das BKH biete hierfür Schulungen an. Doch vorerst zeichnet sich im Landkreis offenbar kein weiteres Angebot neben dem an der Lohrer Klinik ab. Diese sei vor einem halben Jahr nur deshalb eingesprungen, um eine Versorgungslücke im Landkreis zu verhindern.
Die Abhängigen, die nun in Lohr in Behandlung sind, kommen anfangs täglich in die Ambulanz. Den Drogenersatzstoff nehmen sie hier vor Ort und unter Aufsicht entweder als Flüssigkeit oder als Tablette ein. Wie Oberarzt Jadron erklärt, wirkt die Dosis 24 Stunden. Sie verhindert Entzugserscheinungen, verursacht jedoch keinen rauschartigen Zustand. Genau das halte manche Süchtige von der Teilnahme an Substitutionsprogrammen ab. "Denen fehlt der Kick", sagt Bönsch.
Die Patienten der Substitution müssen laut Jadron einen Therapievertrag unterschreiben. Darin ist geregelt, dass bei aggressivem Verhalten gegenüber dem Personal oder bei fehlender Zuverlässigkeit Schluss mit der Therapie ist. Auch der sogenannte Beikonsum von Opiaten und Schlafmitteln sei untersagt, weil es ansonsten in Kombination mit dem Ersatzstoff zu einer Überdosis mit Todesfolge kommen könnte. Hat sich der Ablauf eingespielt und der Patient bewährt, erhält er mehrere Tagesdosen mit nach Hause. Manch einer führe so ein ganz normales Leben und habe eine Arbeitsstelle, erklärt Bönsch.
Die Ausgabe der Drogenersatzstoffe wird verpflichtend flankiert von Beratungsgesprächen. Einmal pro Woche trifft sich der Arzt in der Ambulanz mit jedem Patienten. Einmal im Monat steht für die Abhängigen ein Gespräch mit der Suchtberatung des Caritas-Kreisverbandes an.
Suchtmedizinisch sinnvoll
Deren stellvertretender Leiter Marcus Stein sieht im Konzept der kontrollierten Ausgabe von Drogenersatzstoffen eine "suchtmedizinische Behandlung, die Sinn macht". Bei der Suchtberatung würde man es daher begrüßen, wenn das BKH seine Kapazität ausweiten würde. So könne Abhängigen eine wohnortnahe Versorgung angeboten und der "Tourismus" zu weiter entfernten Ausgabestellen verringert werden, sagt Stein. Er schätzt, dass allein nach Würzburg 30 Abhängige aus Main-Spessart zur Substitution pendeln.
Das Ziel, die Abhängigen im Laufe der Zeit schrittweise ganz aus der Sucht herauszuführen, ist laut Bönsch allenfalls bei rund der Hälfte der Patienten realistisch. Viele könnten sich nach oft vielen Jahren des Konsums ein Leben ohne Suchtmittel gar nicht mehr vorstellen. Bei diesen Patienten geht es nicht mehr um das Streben nach Abstinenz, sondern darum, sie aus der Kriminalität herauszuhalten, vor Krankheiten zu schützen und ihnen das Führen eines weitgehend normalen Lebens zu ermöglichen.
Wie gut dies in manchen Fällen gelingt, macht Bönsch mit einem Beispiel deutlich: Bei einem Patienten der Lohrer Substitutionsambulanz weiß nicht einmal der Partner von der Abhängigkeit.
Als Solidargemeinschaft ist es unsere Pflicht zu helfen.