
Ein Mann geht mit einem Messer auf einen Jungen im Rollstuhl los. Der Junge wehrt einen Stich ab, entwindet ihm den Dolch und drückt den Arm des Angreifers mit einer geschickten Drehung nach unten. Der Junge ist Xaver Gebele, ein Siebtklässler am Gemündener Friedrich-List-Gymnasium. Die Szene war glücklicherweise nur als Teil eines Selbstverteidigungskurses gespielt. Der Mann ist Lehrer an der Schule, das Messer nur aus Kunststoff. "Er muss den Angreifer zu sich herunterziehen, dann hat er die Oberhand", so beschreibt es der Lehrer.
Die Vorführung war nicht für den Reporter von der Zeitung geplant. Den Kurs nach der Mittagspause hatte auch Xavers Sportlehrer Julius Mayer, der das Treffen mit dem 13-Jährigen und seiner Mutter Elke für nach dem Unterricht eingefädelt hat, nicht auf dem Schirm. Er unterstreicht aber sehr gut, was Mayer fasziniert und verdeutlichen will: "Der Xaver will immer alles machen." Bewegung bedeute Xaver viel, alle möglichen Sportarten betreibe und probiere der Junge aus. Und er ist hoch motiviert. Dass Xaver in der Selbstverteidigungsübung das entwundene Messer dem Angreifer auch noch mit einem Lächeln spielerisch in den Arm pikste, habe er ihm nicht so beigebracht, betont der Lehrer, der Selbstverteidigung unterrichtet. Hier war Xaver wohl etwas übermotiviert.
Xaver fuhr mit einem Monoski selbst schwarze Pisten
Anlass für den Termin mit dem Reporter war etwas Außergewöhnliches: Im März waren alle siebten Klassen und auch ein paar ältere Jugendliche, insgesamt rund 70 Schülerinnen und Schüler, eine Woche auf Skikurs in Österreich. Auf der Piste am Katschberg mit dabei: Xaver. "Es war sehr cool", berichtet der junge Gemündener, der von Geburt an querschnittsgelähmt ist. Mit einem sogenannten Monoski, einem Sitz mit einem breiten Ski, konnte Xaver sogar in einer Fortgeschrittenen-Gruppe mitfahren.

"Er ist blaue, rote, schwarze Pisten runter", sagt Lehrer Christoph Classen, der die Skigruppe betreute. "Er war sehr begierig zu fahren, so viel es ging." Es sei dabei nicht so gewesen, dass die Gruppe auf ihn hätte warten müssen. Alles sei "voll im Soll" gewesen, erzählt Classen.
Durch Skiurlaube mit seinen Eltern kann Xaver schon seit eineinhalb Jahren allein Skifahren. Anfangs hatte er hinten an seinem Skigestell einen Bügel, an dem ihn seine Mutter halten und lenken konnte. Später dann ein Gummiband, bevor er schließlich frei fahren konnte.
Wenn die Sicht gut war, habe er auch mal Schuss fahren können, erzählt er vom Skikurs. Aber normalerweise fahre er nur so schnell, dass er auch bremsen kann. "Wenn es unkontrollierbar wird, dann muss ich mich hinschmeißen." Seine Stöcke, an deren Ende sich kleine Skier befinden, halfen ihm beim Halten des Gleichgewichts und auch beim Aufstehen, das am Steilhang besser als im Flachen geklappt habe.
Mutter Elke war zur Unterstützung mit dabei in Österreich
Besser geht es aber, wenn ihm jemand hilft. Deshalb war auch Xavers Mutter Elke beim Skikurs mit dabei. Die konnte ihm helfen, als er bei seiner letzten Abfahrt zu nah an den Rand der beschneiten Piste kam. Dadurch rutschte er auf die etwa einen halben Meter tiefer gelegene Wiese und verfing sich im Fangzaun, erzählt er. Damit er wieder hoch auf die Piste kam, brauchte es mehrere Helfer.

Ansonsten war seine Mutter vor allem dabei, um ihm mit dem Lift zu helfen, erzählt Elke Gebele. Beim Skifahren selber sei sie "mittlerweile ganz entspannt". Nur die Sache mit dem Lift beschreibt sie als etwas hakelig. Weil Xavers Ski nicht in die Gondel gehe, brauche er für den Lift ein Rolluntergestell, das montiert und wieder abgemacht werden müsse. "Das war das Anstrengendste", sagt seine Mutter. Er könne alle Lifte benutzen, nur keine Zweier-Sessellifte, erzählt der 13-Jährige. Denn er brauche immer zwei Sitze und jemanden, der ihm in den Lift hilft. Seine Mutter habe sich darüber hinaus versucht auszuklinken und ihn machen lassen.
Xaver machte bei der Liegestützen-Challenge und beim Tischtennis-Rundlauf mit
Wie auf Skikursen üblich, gab es auch einen bunten Abend, für den sich die Schüler verschiedene Wettstreite ausgedacht haben. Xaver war bei der Liegestützen-Challenge dabei und schaffte 48 Stück, erzählt Sportlehrer Mayer. Jeden Abend hat Xaver Tischtennis, seinen Lieblingssport, gespielt – auch Rundlauf. "Der einzige limitierende Faktor: Bei drei oder vier Spielern musste er Gas geben", erzählt Lehrer Classen.
"Es ist schon bemerkenswert, wie er an Dinge rangeht", findet Mayer. Es fasziniere den Sportlehrer etwa, wie Xaver es im Handball schafft, aus dem rollenden und aus seiner Sicht instabilen Sportrollstuhl heraus den Ball zu werfen. Der Schüler könne auch einen Handstand, fahre Rennrollstuhl und Handbike. Bei Halteübungen mit den Armen im Sportunterricht sei Xaver kaum zu schlagen, sagt Mayer. Und Mutter Elke erzählt, dass er sie im Armdrücken immer "plattmacht".
Die Paralympics 2032 sind der Traum des 13-Jährigen
Auch im Wasser kommt Xaver immer besser zurecht. "Brustschwimmen kann er schon", berichtet Mayer. Mit dem Kraulen habe er ebenfalls schon begonnen, allerdings sei das nicht ganz so einfach für ihn, weil das Gesicht dabei im Wasser ist. Deshalb macht Xaver nun Atemübungen.
Zu Hause hat der 13-Jährige einen Heimtrainer für Rennrollstühle. Anfang April nahm er mit seinem Rennrollstuhl erneut am Residenzlauf teil. Über den 1. Mai fährt er auf Rennrollstuhl-Trainingslager in Büsum. Xaver hat ein Ziel vor Augen: 2032 möchte er gern an den Paralympics im australischen Brisbane teilnehmen.