Sie wundern sich über die jungen Leute, die ständig auf ihre neuartigen Handys starren und tippen und sich laufend gegenseitig fotografieren? Das ist nichts verglichen mit Südostasien. Der Langenprozeltener Markus Stichel weiß, wovon er spricht. Er ist seit rund einem halben Jahr in Bangkok, der thailändischen Hauptstadt. „Die Leute hängen den ganzen Tag an ihrem Smartphone“, berichtet der 38-Jährige von dort, „sehr viel extremer noch als bei uns.“
Er fragt sich deshalb manchmal: „Was haben die Leute vor vier, fünf Jahren gemacht, als es noch keine Smartphones gab? Wo haben die Leute hingeschaut? Haben die sich unterhalten?“ Heute sei die Situation so: „Man kommt in ein Geschäft, in dem acht, neun, zehn Mitarbeiter arbeiten. Und wirklich alle zehn Leute stehen da und haben ein Smartphone in der Hand.“ Und alle seien sie in Thailand besessen davon, ständig mit dem Handy Fotos von sich und anderen zu machen. Für Selfies, also Selbstporträts, hätten sie extra Teleskopstöckchen zur Verlängerung des Arms.
Markus Stichel hat die vergangenen 14 Jahre in Berlin gelebt, hat Literaturwissenschaften und Politik studiert und war freiberuflich als Texter und im Bereich Online-Marketing und Öffentlichkeitsarbeit tätig. Das Großstadtleben kennt er also – zumindest dachte er das. Im vorigen Jahr war eine thailändische Bekannte seiner Schwester, Nok, zu Besuch in Berlin. Dabei hat es zwischen den beiden gefunkt. Er folgte einer Einladung nach Bangkok und ist nun seit Ende Mai auf jeden Fall bis Frühjahr des nächsten Jahres dort. Vielleicht bleibt er für immer. Sein Zwischenfazit lautet jedoch: „Es ist schon sehr anders als bei uns.“
Nicht nur die Smartphone-Nutzung, überhaupt ganz Bangkok sei extrem, erzählt Stichel. Die Stadt platze aus allen Nähten, auf den Straßen herrsche Chaos pur, abends und bei Regen breche der Verkehr regelmäßig zusammen, weil so viele Leute wie in Deutschland bei einer Großveranstaltung unterwegs seien und zur S-Bahn strömten.
Bangkok sei laut, habe schlechte Luft, hinzu komme eine extreme Hitze und Schwüle. Das Ergebnis sind unvorstellbar große, klimatisierte Einkaufszentren, wo Leute den ganzen Tag verbringen können. Ein in Bangkok als klein geltendes Einkaufszentrum sei immer noch doppelt so groß wie das größte in Berlin. Weil auch Kinos und Cafés auf 17 Grad heruntergekühlt seien, nimmt er sich auch in der größten Hitze immer eine Jacke oder Weste mit.
Die Thailänder, hat Stichel festgestellt, fotografieren fröhlich ihren Nachtisch, was noch wichtiger sei, als ihn zu essen. Anfangs habe er einige Kilo zugenommen, weil er immer brav alles aufgegessen habe, was auf den Tisch gekommen sei. Die Thailänder hätten sich gewundert, wie viel er esse. Inzwischen weiß er, dass man in Thailand auch mal einfach nur zum Probieren Essen bestelle und nicht aufessen müsse.
Für Europäer gibt es spannende Dinge zu entdecken.. Seine Freundin Nok habe zwar noch nie die bei der Landbevölkerung beliebten Insekten probiert, er habe aber schon zugegriffen. „Frittierte Raupen schmecken wie Flips“, sagt er, Heuschrecken seien recht knusprig. Nur die handtellergroßen frittierten Küchenschaben anzuknabbern, das hat er sich bis jetzt noch nicht getraut. Während bei ihm um die Ecke bei Garküchen aufgeschnittene Frösche auf dem Grill lägen, sei Rind nicht so verbreitet. Das hat mit der Religion zu tun. In Thailand gibt es recht viele Hindus, für die Kühe bekanntlich heilig sind. Allerdings, so Stichel, gingen in Thailand Hinduismus und Buddhismus fließend ineinander über. Hinzu komme der Glauben an Ahnen und Geister. So hätten Türen relativ hohe Schwellen, weil, so der Glaube, Geister nicht etwa schweben wie bei uns, sondern meist kriechen und somit bei hohen Schwellen so ihre Probleme haben.
Das Klischee, das man in Deutschland hat, dass in Thailand überall einschlägige Bars mit leichten Mädchen zu finden seien, sei übertrieben, sagt der 38-Jährige. In Bangkok selbst gebe es zwei, drei Straßenzüge als Rotlichtviertel. Interessant sei, dass man es den „Bargirls“ genannten Prostituierten oft nicht ansehe, womit sie ihr Geld verdienen. Sie sähen eher aus wie nette, hübsche Mädchen, seien redefreudig und tanzten mit einem – und irgendwann präsentieren sie die Rechnung. Er habe aber auf der Insel Phuket auch eine Klischeestadt des Sextourismus erlebt, wo aufgeschwemmte weiße Männer um die 70 mit zwanzigjährigen Mädchen herumliefen.
Stichel fühlt sich wohl in Thailand. die Sprache lernt er inzwischen auch. Angesichts von 42 Buchstaben und vier verschiedenen Tonhöhen sei das aber ein schwieriges Unterfangen. Ob er sich vorstellen könne, länger oder gar für immer zu bleiben? „Im Moment hab ich nicht so den Wunsch, komplett nach Deutschland zurückzugehen“, sagt er. Wenn er bleibe, dann würde er gerne außerhalb von Bangkok leben, obwohl man für denselben Job bei derselben Firma überall außerhalb Bangkoks nur die Hälfte bekomme, selbst in der zweitgrößten Stadt. Ob er wirklich bleiben will, könne er sowieso erst sagen, wenn er in Thailand eine Arbeit gefunden hat.
Unruhen in Bangkok
Markus Stichel aus Langenprozelten reiste in einer unruhigen Zeit nach Bangkok. Bis Ende Mai, als er dort ankam, gingen Bilder von Demonstrationen um die Welt. Plötzlich war damit Schluss: Das Militär übernahm die Macht, schickte die Menschen nach Hause, verhängte eine Ausgangssperre und brachte die Fernsehsender unter Kontrolle. Der Langenprozeltener ist fasziniert: „Ausnahmslos jeder hat mir erzählt, dass es eigentlich gut ist, dass jetzt wieder Ruhe ist.“
Das Ganze sei so unblutig abgelaufen, weil die Thailänder so obrigkeitshörig seien. „Wenn jemand kommt, und hat eine Uniform an und sagt, du machst jetzt das und das“, sagt Stichel, „dann sagen die Leute: Jawohl, das mache ich jetzt.“
Auch die Medien seien unkritisch. Warum sich die Thais so viel gefallen ließen, darüber habe er oft mit seiner Freundin diskutiert. Warum die Ausgangssperre und wochenlang Standbilder im Fernsehen einfach hingenommen wurden, wundert ihn. Beschwerden habe es lediglich gegeben, weil die beliebten Seifenopern nicht mehr zu sehen gewesen seien.
Ruhe, Frieden und Harmonie seien in Thailand eben wichtiger als persönliche Rechte wie Wahlfreiheit und eine freie Meinung. Ein gewisses kritisches Denken wie in Europa sei aber eben nicht angeboren, sondern das Produkt von Aufklärung, dem Lernprozess nach den Weltkriegen und Emanzipation – Dinge, die in Thailand fehlten. Inzwischen gehe alles wieder seinen normalen Gang.