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MAIN-SPESSART
Wort zum Wochenende: Das glaubt uns doch keiner
Wort zum Wochenende: Das glaubt uns doch keiner       -  _
Bearbeitet von Gabriele Haupt
 |  aktualisiert: 16.07.2017 03:27 Uhr

Es ist viel geschrieben und geredet worden zum Tod von Helmut Kohl und zu den besonderen Umständen der Abschieds- und Trauerfeierlichkeiten. Mit das Beste, das ich dazu lesen konnte, in der aktuellen Ausgabe einer großen Wochenzeitung, war ein Gespräch mit Karl Kardinal Lehmann über den langjährigen Freund. 1983 wurde Helmut Kohl Kanzler, Karl Lehmann Bischof von Mainz. Dort hatte Jahre zuvor die Freundschaft zwischen dem jungen Theologieprofessor und dem jungen Spitzenpolitiker begonnen.

Jetzt blickte der eine zurück auf die persönlichen Begegnungen mit einem Menschen, der als öffentliche Gestalt, als der ,ewige‘ Kanzler, gerade auch die Jahre prägte, in denen sich mein politisches Bewusstsein bildete. Mit dem ruhigen Ton dieses Interviews wurden für mich in oft scharfem Kontrast dazu die Töne und Stimmlagen der öffentlichen Debatte jener Jahre hörbar. Und das mit ruhiger Gelassenheit erinnerte Bild der nicht unangreifbaren Persönlichkeit hatte sehr wenig mit den verzerrenden Ausmalungen vieler damaliger und späterer Kommentierungen zu tun.

Karl Lehmann ist das, was viele gern wären und darzustellen versuchen – ein Intellektueller. Nicht weil er viele Bücher besitzt – die private Bibliothek im Mainzer Bischofshaus ist legendär – und sehr gut versteht, sie zu lesen. Er ist es wirklich, weil er weiß, zwischen den Zeilen zu lesen – denen seiner Bücher und der der Menschen, zwischen ihren Worten, Gesten und Haltungen.

Das gibt seinem Blick eine Gebildetheit, die befreit ist von aller eingebildeten Informiertheit und besserwisserisch-neugierigen Gewissheit. Das gibt eine schlichte Einfachheit und Klarheit, hinter der nichts lauert, und die den anderen mit großer Einfühlung und Diskretion in sein ganz eigenes Geheimnis frei gibt. Das ermöglicht ihm eine Haltung absichtslosen Interesses an anderen, eine einladende Gelassenheit, die alles Gezwungene und Befangene lösen kann. Es ist ein ganz und gar freundlich wohlmeinender Blick. Wahrhaftig und grundehrlich genug, um deutlich klar zu sehen und zu ahnen, was alles an inneren Widersprüchen und unausgesprochenen Fraglichkeiten mit diesem Blick übersehen ist. Mich wundert nicht, dass ein Mann, der so sehr in der öffentlichen Wahrnehmung stand, diesen Blick immer wieder suchte.

Ich glaube, in dem Interview mit Karl Lehmann genau jenen Blick heraus zu spüren, den ich mir bei Gott – absolut vollendet und unübertrefflich – vorstelle und erhoffe.

Kardinal Lehmann in jener Erinnerung an den Freund: „Einmal war ich am Wolfgangsee eingeladen. Frau Kohl hatte gekocht, nach dem Essen ging sie im Wolfgangsee schwimmen. Wir Männer spülten und trockneten ab. Ich weiß noch, wie er zu mir sagte: Das glaubt uns doch keiner!“

 
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