Wann haben Sie zum letzten Mal einen fremden Menschen bei sich zu Gast gehabt? Oder bei welcher Gelegenheit waren Sie bei Menschen zu Gast, die Sie vorher nicht gekannt haben? Für mich sind Momente der Gastfreundschaft - entweder als Gastgeber oder als Gast - sehr kostbare Zeiten. Da erlebe ich Begegnungen, die so ganz anders sind als mein Alltag. Sie bereichern mein Leben.
Die Gastfreundschaft hat ihre Wurzeln in der Religion. In beinahe allen Kulturen gehört sie zu den wichtigsten religiösen Pflichten. Immanuel Kant, der vor rund 300 Jahren gelebt hat und als einer der bedeutendsten Philosophen gilt, spricht von der Hospitalität ("Wirtbarkeit") – dem "Recht eines Fremdlings, (...) nicht feindselig behandelt zu werden". Dieser habe nicht ein "Gastrecht", sondern ein "Besuchsrecht, welches allen Menschen zusteht".
In der Bibel schreibt der Apostel Paulus in seinem Brief an die Hebräer dazu: "Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt." (Hebr 13,2 EU). Das im Neuen Testament für Gastfreundschaft verwendete griechische Wort bedeutet wörtlich "Liebe (zum) Fremden", "Fremdenliebe".
Im Sommer habe ich eine mehrtägige Radtour gemacht. Ich bin gerne mit dem Fahrrad unterwegs. Auf meiner Radtour habe ich die "Dachgeber" kennengelernt. Als Dachgeber bezeichnen sich Radlerinnen und Radlern, die sich bereit erklärt haben, anderen Radlern auf Tour für eine Nacht eine einfache, kostenfreie Unterkunft zu gewähren. Gastfreundschaft pur!
Im Rahmen eines privaten, nicht kommerziellen Projektes sind die Dachgeber in einem Übernachtungsverzeichnis zusammengefasst. Dieses Verzeichnis basiert auf dem Gegenseitigkeitsprinzip: Nur wer selber bereit ist, einen Platz zum Schlafen anzubieten, kann umgekehrt bei anderen Dachgebern nächtigen. Das eigene Unterkunftsangebot darf einfach sein. Für gewöhnlich reicht eine Ecke in einem Zimmer, in der der Radelgast auf seiner Isomatte oder einer bereitgestellten Matratze schlafen kann. Auch eine Rasenfläche im Garten kommt den zeltenden Tourenradlern entgegen.
Faszinierend – finde ich. Als ich das Prinzip und die Praxis der Dachgeber kennengelernt habe, fiel mir auf, dass sie leben, was in der christlichen Tradition zu den "Werken der Barmherzigkeit" gehört, zum Beispiel Hungernde speisen, Dürstenden zu trinken geben oder Fremde aufnehmen. +
Und ich dachte an einen Impuls des Hildesheimer Bischofs Heiner Wilmer, an eine ganz einfache Frage von ihm: "Wozu braucht man uns Christen überhaupt?" Ich bin überzeugt, dass die Zukunft der Christinnen und Christen und ihrer Bedeutung für die Gesellschaft von der Beantwortung dieser Frage abhängt. Bischof Heiner Wilmer ruft dazu auf, neue Formen und Wege des Christseins auszuprobieren.
Bei den Dachgebern habe ich einen neuen, positiven Ansatz gefunden, die Kraft christlicher Solidarität und den Segen der Gastfreundschaft wiederzuentdecken.
Der Autor: Diakon Thomas Pfeifer, Pastoraler Raum Marktheidenfeld.