Besteht die Aussicht, dass der Bahnhalt am früheren Lohrer Stadtbahnhof für Personenzüge reaktiviert wird? Die Idee gibt es seit Jahren. Doch bildlich gesprochen kam der Prozess seither nur im Tempo einer lahmen Bimmelbahn voran. Nun jedoch kündigt das bayerische Verkehrsministerium auf Anfrage dieser Redaktion an, die Potenzialprognose erstellen zu wollen, die einer Reaktivierung zwingend vorausgehen muss. Man habe, so ein Sprecher des Ministeriums, vor wenigen Tagen von der Stadt Lohr die dafür erforderlichen Daten erhalten.
Dazu, auf welcher Zeitschiene der Prozess nun fahren wird, wagt der Ministeriumssprecher indes keine Prognose. Ob es bis zu einer Entscheidung ein oder fünf Jahre dauern werde, könne man nicht sagen.
Fünf Jahre – so lange ist es mittlerweile fast her, dass Lohrs Bürgermeister Mario Paul in seiner Jahresschlussansprache 2016 völlig überraschend die Reaktivierungsidee aus dem Hut zauberte. Damals glaubten viele zunächst an einen verfrühten Aprilscherz. Doch 2019 fassten der Kreistag und der Stadtrat tatsächlich gleichermaßen Beschlüsse, die das Verkehrsministerium aufforderten, die Möglichkeit einer Reaktivierung zu prüfen. Seither war in der Frage, ob wieder Personenzüge in die Lohrer Altstadt rollen könnten, jedoch so recht kein Zug mehr drin.
Erforderliche Daten vorgelegt
Wohl auch deshalb gab es jüngst im Stadtrat Nachfragen, wie nun eigentlich der Stand der Dinge sei. Paul erklärte damals, dass das Thema in der Stadtverwaltung über einen längeren Zeitraum wegen dringenderer Angelegenheiten etwas hinten angestellt worden sei. Man werde es nun jedoch wieder in Angriff nehmen. Und prompt meldet das Verkehrsministerium, dass die Stadt die erforderlichen Daten vorgelegt habe.
Laut Ministeriumssprecher handelt es sich um Zahlen zu Einwohnern, Arbeitsplätzen und Pendlern, aber auch um Infos zur künftigen Stadtentwicklung. Anhand dieser Daten laufe nun die Aktualisierung der Prognose zu Fahrgastzahlen am Stadtbahnhof. In früheren Jahren lag diese Prognose bei rund 780 Fahrgästen pro Tag. Für eine Reaktivierung wären 1000 Fahrgäste nötig. Zum Vergleich: Der Lohrer Bahnhof zählte im Jahr 2019, also vor der Pandemie, laut Verkehrsministerium an Werktagen im Schnitt 1500 Fahrgäste.
Im Zuge der Potenzialanalyse wird laut Ministeriumssprecher auch untersucht, wie sich eine Reaktivierung des Stadtbahnhofs auf die Fahrgastzahlen am dann "Hauptbahnhof Lohr" auswirken könnte. Einerseits könne man davon ausgehen, dass die Fahrgastzahlen dort sinken würden, wenn Passagiere bis zum Stadtbahnhof durchfahren könnten.
Umsteigen in Aschaffenburg
Andererseits, so der Sprecher, könnten "Umsteiger von Lohr-Stadt Richtung Aschaffenburg-Frankfurt" dem Lohrer Bahnhof auch zusätzliche Ein- und Ausstiege bescheren. Umsteigen müsste man in Richtung Aschaffenburg, da Züge auf der 1,2 Kilometer langen Reaktivierungsstrecke nur von und in Richtung Würzburg rollen könnten. Denkbar wäre beispielsweise, dass 19 Regionalbahnen, die täglich von Würzburg kommend derzeit in Gemünden enden, bis Lohr-Stadt durchfahren.
Allerdings müsste sich zuvor jemand finden, der in die Ertüchtigung der Reaktivierungsstrecke investiert. Diese wäre beispielsweise zu elektrifizieren. Auch ein neuer Bahnsteig sowie Investitionen in die Schranke wären erforderlich. Insgesamt, so sagte ein Ministeriumsvertreter vor zwei Jahren im Lohrer Stadtrat, sei mit Investitionen von mehreren Millionen zu rechnen. Der Freistaat werde definitiv kein Geld in die Hand nehmen. Stattdessen müssten andere ran, die Bahn etwa, sofern die Strecke rentabel erscheine, ansonsten aber wohl die Stadt.
Sollte die Finanzierung gesichert sein, müsste sich im nächsten Schritt ein Eisenbahnunternehmen finden, das sich bereit erklärt, die Strecke dauerhaft zu bedienen. Laut Ministerium müsste es dafür die Infrastrukturkosten berechnen, die jedoch das Niveau vergleichbarer Strukturen der Deutschen Bahn nicht übersteigen dürften.
"Gesamtnutzen für die Region"
Letztes zu erfüllendes Kriterium wäre schließlich, dass der ÖPNV-Aufgabenträger, also der Landkreis, sich vertraglich dazu verpflichtet, ein mit dem Freistaat abgestimmtes Buskonzept im Bereich der Reaktivierungsstrecke umzusetzen. Grundsätzlich, so das Ministerium, müsse eine Reaktivierung immer "einen verkehrlichen Gesamtnutzen für die Region" entfalten. Ob dies der Fall ist, sei in einer Region häufig "keinesfalls unstrittig". Denn aus einer Reaktivierung ergäben sich "oft erhebliche Auswirkungen auf die bestehenden Verkehre und daher für erhebliche Teile der Bevölkerung auch nachteilige Folgen", so das Verkehrsministerium. Die Staatsregierung stehe der Reaktivierung von stillgelegten Eisenbahnstrecken jedoch "grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber, sofern die Reaktivierung sinnvoll und möglich ist", so der Sprecher.
Erster Schritt zur Beurteilung dieser Frage wird nun die Potenzialprognose sein. Dazu, bis wann diese vorliegt, wollte sich das Verkehrsministerium nicht festlegen. Sobald sie aber vorliegt, werden sicher wieder die kommunalen Gremien tagen. Im Lohrer Stadtrat, davon ist auszugehen, dürften sich dann erneut zwei Lager mit fundamental unterschiedlichen Ansichten gegenüberstehen. Das zeigte sich schon bei früheren Diskussionen, wo die Spanne der Beurteilung einer möglichen Reaktivierung des Bahnhalts in der Altstadt von "für Lohr wie ein Sechser im Lotto" bis zu "vergesst das Ganze" reichte.