Die Wilden erobern die Wälder zurück. Wildkatze, Luchs, Wolf, Elch und Bär sind schon in Bayern zuhause oder kommen zu Besuch. Geht es nach der Umweltorganisation WWF, kann irgendwann auch das Knören von Wisenten im Spessart zu hören sein. Eine neue WWF-Studie identifizierte zehn Gebiete für die Wiederansiedlung. Besonders vielversprechende liegen demnach vor allem in Ostdeutschland. Mögliche Wisentregionen gibt es aber im ganzen Land.
In Bayern könnten den Tieren Alpenraum, Bayerischer Wald und Spessart gefallen. „Unter ökologischen Gesichtspunkten gibt es in Deutschland genügend Platz für den Wisent“, sagt Diana Pretzell, Leiterin des WWF-Naturschutzes für Deutschland in Berlin. Jetzt komme es darauf an, ob Bevölkerung und Politik eine Rückkehr der einst ausgerotteten Wildrinder wollen.
Gemischte Gefühle im Spessart
Oliver Kaiser, Geschäftsführer des Naturparks Spessart in Gemünden (Lkr. Main-Spessart), hat gemischte Gefühle beim Gedanken an die riesigen Pflanzenfresser. „Das gäbe vermutlich größere Konflikte mit der Forstwirtschaft, eventuell auch mit Jagd und Landwirtschaft“, überlegt Kaiser. Er kennt das Wisentprojekt im nordrhein-westfälischen Rothaargebirge.
Dort lebt seit 2013 eine Herde in Freiheit. „Mitarbeiter des Naturparks dort erzählten mir, dass die Tiere, die durch die freie Wildbahn streifen, relativ viel Fegeschäden an Bäumen verursachen – ebenso wie Rothirsche mit ihrem Geweih, nur eben noch stärker.“ Die Wisente machten auch vor dicken Buchen nicht halt.
Einige Waldbauern im Rothaargebirge fordern vor Gericht, dass die Tiere ihre Flächen nicht mehr betreten, andere, dass das Wisentprojekt beendet wird. Ausgeglichen werden die Wisent-Schäden schon jetzt. Laut Peter Schütz vom Pressereferat des nordrhein-westfälischen Umweltministeriums ist die Interessenlage kompliziert: Das Revier der Wisente übergreift zwei Landkreise. Durch einen führe der touristisch bedeutsame Rothaarsteig, dessen Attraktivität interessante Wildtiere erhöhen. „Die Vertreter des Tourismus im Raum Siegen-Wittgenstein bewerten das Wisentprojekt als erfolgreich“, so Schütz. Im anderen Landkreis stehe der Schadensaspekt im Vordergrund. Zudem ginge es um die Frage, ob neu angesiedelte Tiere als Wild gelten oder vielmehr dem Trägerverein des Projekts gehören.
Wilde Wisente nachgezüchtet
Für Roland Gramling, Pressesprecher beim WWF, geht es um die grundsätzliche Frage, ob die Gesellschaft die großen Wildtiere wieder in ihren Wäldern wolle. Umfragen bejahten das: „Die Deutschen wollen Wildnis und die charismatischen Tierarten.“
Die Ausrottung der Urviecher begann vor etwa 1500 Jahren. Anfang des 20. Jahrhunderts waren sie fast ausgestorben. Aus einer Handvoll Wisente in Zoos wurden in den 1950er Jahren Tiere nachgezüchtet und im Bialowieza-Wald in Polen ausgewildert. Heute leben dort 450 von insgesamt rund 3000 wilden Wisenten, heißt es auf der Internetseite des Bialowieza-Nationalparks.
Die Tiere stehen in Polen wie in Deutschland unter Schutz. Doch werden sie bei Konflikten mit dem Menschen geschossen. 2016 wurde in Polen ein Tier nach einem Angriff auf einen Mann erlegt, kürzlich in Deutschland ein Bulle, der aus Polen nach Brandenburg gewandert war. 30 bis 40 Wisente werden jährlich zum Abschuss freigegeben, weil sie zur Bedrohung des Waldes würden, heißt es beim Bialowieza-Nationalpark.
Konflikte und Chancen
Konflikte von Wildtier und Mensch sind nicht im Sinn des Naturschutzes. Die Studie des WWF prüfte mögliche Lebensräume besonders auf Rückzugsorte für Wisente. Die Entfernung zu Siedlungen und Straßen spielten eine Rolle, so der WWF. Um den Fortbestand der Wisente zu sichern, die von der Weltnaturschutzorganisation IUCN als gefährdet eingestuft werden, müsse ihre Ansiedlung in neuen Lebensräumen möglich gemacht werden.
Das sei allerdings Sache der Politik, sagt Gramling. Und die dürfe niemanden vor den Kopf stoßen, sondern müsse überzeugen und den Mehrwert von Natur deutlich machen. So gebe es nur noch wenige große Tierarten, die aber eine wichtige vitalisierende Funktion für die Natur hätten – ganz zu Schweigen von der Belebung des Tourismus.
Wisente im Spessart wären sicher ein touristisches Plus für die Region, meint Naturpark-Geschäftsführer Kaiser. In freier Wildbahn würden Wanderer die scheuen Tiere aber kaum zu Gesicht bekommen. Deshalb wären ihm die Urtiere im Gehege lieber.
Urviecher als Nutztiere
Erfahrung mit ungewöhnlichen Rindviechern gibt es im Spessart. Im Hafenlohrtal weiden Wasserbüffel und tun der Ökologie gut. Mit Wisenten seien sie jedoch nur schwer vergleichbar, so Kaiser. „Zwar sind beide Tierarten für die Beweidung von feuchten Talauen geeignet, die Wasserbüffel sind als landwirtschaftliche Nutztiere in der Handhabung jedoch deutlich einfacher und benötigen auch nicht solch einen massiven Zaun wie das Wildtier Wisent.“
Ein vom bayerischen Landwirtschaftsministerium gefördertes Projekt im oberbayerischen Donaumoos ergründet gerade, ob der Wisent für eine extensive Beweidung von Grünland und zur Landschaftspflege auf Niedermoorstandorten geeignet ist. Gleichzeitig soll mit den knapp 20 fest eingezäunten Tieren die touristische Attraktivität der Region gesteigert und zur Erhaltung des größten frei lebenden europäischen Landsäugetieres beigetragen werden.
Der Wisent
Die Europäischen Bisons (Bison bonasus) werden bis zu drei Meter lang und haben eine Schulterhöhe von bis zu zwei Metern. Bullen wiegen zwischen 500 und 1000 Kilogramm, Kühe zwischen 300 und 500. Wisentkühe können 24 Jahre alt werden, Bullen selten älter als 16.
Der Lebensraum der Wisente sind ausgedehnte Laub- und Mischwälder. Das Revier einer Herde ist etwa 4000 Hektar groß. Die Tiere fressen Laub, junge Triebe, Wurzeln, Baumrinde, Gras und Kräuter, aber auch Feldfrüchte und zwar 30 bis 60 Kilogramm am Tag. Wisente sind Fluchttiere und gehen Menschen in der Regel aus dem Weg.
Etwa 15 000 Jahre alte Höhlenmalereien zeigen, dass Wisente schon lange zu den für den Menschen bedeutenden Tieren gehörten. Um das Jahr 400 begann die intensive Jagd auf Wisente in Europa und Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das letzte frei lebende Wisent erschossen.
Flachlandwisente gab es noch in Gefangenschaft. Sie wurden nachgezüchtet. Inzwischen leben wieder etwa 3000 Tiere in Deutschland und Osteuropa in freier Wildbahn. Problematisch ist allerdings der sehr eingeschränkte Genpool dieser nachgezüchteten Wisente. Die Bergwisente sind ausgerottet.
Versuche, aus Wisenten Nutztiere zu machen, gab es bis in die 1980er Jahre, erzählt eine Jägerin aus dem Landkreis Main-Spessart vom Projekt eines Freundes in Polen. Er züchtete Zubron, eine Kreuzung von Hausrind mit Wisent. „Diese Tiere sind äußerst robust, gesund, gegen fast alle Krankheiten immun, sehr groß und schwer, liefern also viel Fleisch“, erzählt sie. Wegen Problemen mit der Fruchtbarkeit der Tiere seien diese Experimente jedoch eingestellt worden. Für eine Massenzucht hätten die Zubron nicht getaugt. bea