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Wo arbeite ich, und wenn ja, wie lange?
Richard David Precht referierte in der voll besetzten Lohrer Stadthalle über die Zukunft der Arbeit.
Foto: Klaus Gimmler | Richard David Precht referierte in der voll besetzten Lohrer Stadthalle über die Zukunft der Arbeit.
Klaus Gimmler
 |  aktualisiert: 11.12.2019 21:38 Uhr

Unsere Welt steht am Anfang der vierten industriellen Revolution, sagt Richard David Precht. Er meint damit eine totale digitale Umwälzung sämtlicher Lebensbereiche, die das Ende der Lebensart mit sich bringt, wie wir sie in der westlichen Welt gewohnt sind. Darin sieht Precht große Gefahren, aber auch Chancen.

Richard David Precht war am Montagabend auf Einladung der Raiffeisenbank Main-Spessart in die Lohrer Stadthalle gekommen. Der „bedeutendste Intellektuelle der Gegenwart“ – so wurde er von Raiffeisenbank-Direktor Andreas Fella vorgestellt – referierte eineinhalb Stunden lang, frei sprechend, tiefgründig, aber auch mit Witz über sein neustes Buch „Jäger. Hirten. Kritiker.“. Die Stadthalle war mit ihren 620 Plätzen ausverkauft. Eingeladen waren die Genossenschaftsmitglieder der Raiffeisenbank.

Revolutionäre Zeiten

„Wir leben in revolutionären Zeiten“, ist die Grundthese von Precht, allerdings fühle es sich nicht so an. Niemand werde geköpft, nichts wird in Brand gesteckt. Die digitale Revolution komme schleichend. Nach der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts, der nachfolgenden Elektrifizierung und dem Beginn des Computerzeitalters bezeichnete er die Digitalisierung als die vierte industrielle Revolution, die unsere Arbeitswelt grundlegend verändern werde.

Die Lohrer Stadthalle war voll besetzt. Richard David Precht referierte frei redend eineinhalb Stunden lang.
Foto: Klaus Gimmler | Die Lohrer Stadthalle war voll besetzt. Richard David Precht referierte frei redend eineinhalb Stunden lang.

Dies aus einem einfachen Grund: Nach einer Studie der Universität Oxford werden in den nächsten 25 Jahren die Hälfte der bisherigen Arbeitsplätze mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit durch digitale Technik ersetzt. Allerdings werden wieder neue Arbeitsplätze geschaffen – so wie einst das Automobil die Berufe der Kutscher und des Hufschmieds verdrängte. Doch Precht ist überzeugt, dass viel mehr Arbeitsplätze wegfallen als neu entstehen. Das führt dazu, dass wir in Zukunft deutlich weniger arbeiten werden.

Die Rente ist nicht sicher

Was bedeutet das? Zunächst einmal beobachtet Precht ein Wandel in der Mentalität. Früher habe es geheißen, „das Leben ist kein Wunschkonzert“. Unsere Großväter lebten nach der Lebensmaxime „Leidvermeidung“. Es wurde gearbeitet, bis man nicht mehr konnte. Heutzutage steht „Lustgewinnung“ im Vordergrund, wobei die Menschen immer älter werden. Dies gefährde die Sozialsysteme. Precht prophezeit dem bisherigen Umlagesystemen ein nahes Ende. Die Rente sei nicht sicher, dies wüssten auch die Politiker, doch niemand traue sich dies offen zu sagen.

Gibt es eine Lösung? Precht plädiert für das bedienungslose Grundeinkommen und nennt eine Höhe von 1500 Euro. Es müsse deutlich oberhalb von dem liegen, was Hartz-IV-Empfänger bekommen. Jeder habe darauf einen Anspruch. Wer zudem noch arbeitet, bekommt den Lohn obendrauf, der dann besteuert wird. Daher führt dieses System nach Ansicht von Precht nicht zu Müßiggang, wie die Kritiker behaupten, sondern motiviere zur Arbeit.

Für eine Finanztransaktionssteuer

Doch wer soll das bezahlen? Deutschland ist reich, meint Precht und reiche Leute werden noch reicher durch Spekulation. Der gesamte Wertpapierhandel habe eine Summe von 240 Billionen Euro. „Da ist das Geld“, sagt Precht und plädiert für eine Finanztransaktionssteuer. Dies sei eine unfassbare Geldquelle.

In der nachfolgenden Diskussion betonte Precht, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen nur dann eingeführt werden könne, wenn auch die Voraussetzungen stimmen. So müsste unter anderem das Nomadentum, nach dem sich Anleger global die günstigsten Bedingungen suchen, verhindert werden. Erst dann könne eine Transaktionssteuer greifen, aber davon sind wir noch weit entfernt.

Raiffeisen begrüßte die Gäste

Richard David Precht erhielt zum Ende seines Vortrags einen Blumenstrauß aus den Händen der Raiffeisenbank-Direktoren (von links) Manfred Heuer und Andreas Fella.
Foto: Klaus Gimmler | Richard David Precht erhielt zum Ende seines Vortrags einen Blumenstrauß aus den Händen der Raiffeisenbank-Direktoren (von links) Manfred Heuer und Andreas Fella.

Als Dank für seinen Auftritt zum Ende seines Vortrags überreichten die Raiffeisenbank-Direktoren Manfred Heuer und Andreas Fella einen Frankenwein. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Raiffeisen-Jahres 2018 statt. Vor 200 Jahren wurde der Gründer des Genossenschaftsgedankens Friedrich Wilhelm Raiffeisen geboren. So war auch er es, der zu Beginn die Zuhörer in einer computersimulierten Animation willkommen hieß. Sein Gesicht war groß auf die Leinwand projiziert und er beschrieb mit sich bewegenden Lippen die Genossenschaftsidee, die von der Unesco als immaterielles Kulturerbe gewürdigt worden ist. Der Mensch stehe an erster Stelle, nicht der Gewinn, sagte er und dies war damit eine gute Überleitung zum Vortrag von Precht.

Richard David Precht

Richard David Precht wurde am 8. Dezember 1964 in Solingen geboren. Der Honorarprofessor ist deutscher Philosoph und Publizist. Sein Bestseller „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ wurde als Buch im Februar 2008 auf den ersten Platz der Spiegel-Bestsellerliste genommen und blieb dort bis Oktober 2012. Precht hält damit den Langzeitrekord auf der Spiegel-Bestsellerliste. Sein neues Buch heißt „Jäger. Hirten. Kritiker. Eine Utopie für die digitale Gesellschaft“.
 
 
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