Michael Fey trägt den Bart jetzt lang und erinnert etwas an Sokrates. Auch im Leben gibt es Parallelen zum griechischen Philosophen der Antike: Wie er hat er viel gelesen, viel gelernt und viel diskutiert, aber den Lebensunterhalt vernachlässigt. An diesem Mittwoch wird Fey 75 Jahre alt.
Er stammt aus der Künstlerfamilie Fey, sein Großvater war der Heimatdichter Nikolaus Fey. Sein Leben hat er nach seinen Vorstellungen geführt, aber nicht nach denen einer modernen Leistungsgesellschaft. Das fällt ihm jetzt im Alter vor die Füße.
Aber der Reihe nach. Seinen Vater hat er nie kennengelernt. Dieser war ein US-Soldat, der nach dem Einmarsch der US-Truppen in der Lohrer Forstschule stationiert war. Schräg gegenüber liegt das Fey'sche Familienanwesen mit einem fast 100-jährigen Haus.
1966 machte er Abitur
Manche hätten mit den US-Soldaten "fraternisiert", beschreibt er die Umstände seiner Entstehung. Nach der Rückkehr in die USA ließ sein Vater nichts mehr von sich hören. Fey besucht das alte Lohrer Gymnasium und macht dort 1966 Abitur. Von seinem Talent für Sprachen habe er erst mit 18 Jahren etwas bemerkt, sagt er im Gespräch mit unserem Medienhaus. Am Gymnasium lernt er Latein und Altgriechisch, dazu Englisch und Französisch. Anfang der zwölften Klasse kommt Russisch hinzu.
Das Manko ist, dass er diese Sprachen zu diesem Zeitpunkt nur lesen kann, "mich in ihnen zu unterhalten, überforderte mich". Ein Schlüsselerlebnis hat er mit 18 in den Ferien bei einer Tante in Niederbayern. Ihm fällt ein Lehrbuch für englische Sprache und Grammatik in die Hände, das er durcharbeitet. "Dadurch habe ich Geschmack an der Sache gefunden, ich habe es mir auf einmal zugetraut." Nun kann er mit einer Cousine auf Englisch korrespondieren. Das wird sich forthin als roter Faden durch sein Leben ziehen: Fey bringt sich autodidaktisch selbst Sprachen bei.
"Sprachengeschäft" neben dem Studium
Zum Studieren zieht er nach Bonn zu einer anderen Tante. Diese redet dem sensiblen jungen Mann das Lehrerstudium aus. Im zweiten Semester fängt er mit Geschichte, Soziologie und Politikwissenschaft an. Ab dem dritten Semester ist er an der Uni Würzburg – "aus persönlichen Gründen, eine Mädchengeschichte".
Weitere Sprachen folgen, Niederländisch, Spanisch, Italienisch. Insgesamt 13 Sprachen hat er so gelernt, dass er sie gut sprechen kann. Ab den 70er-Jahren kommt Türkisch hinzu, weil Fey im Zug zwischen Würzburg und Lohr immer wieder Gastarbeiter trifft, die sich nicht verständigen können und denen er helfen will.
So entsteht neben dem Studium das "Sprachengeschäft": Er dolmetscht für Türken und andere Migranten, begleitet sie zu Ärzten, Ämtern und Anwälten, bringt ihnen Deutsch bei. Viel Geld verdient er damit nicht. "Ich habe es immer kulant gemacht und gesagt, gebt mir, was ihr zahlen wollt."
Fey versäumt Rückmeldetermin
Aber er kann davon leben: "Ich habe immer geringe Ansprüche gehabt." Das Studium zieht sich hin, nach 16 Semestern ist Schluss, weil Fey den Rückmeldetermin versäumt. Bis weit in die 80er-Jahre hinein läuft das Sprachengeschäft gut, dann können die Kinder der Migranten selbst Deutsch und helfen ihren Eltern.
In den 90er-Jahren erwirbt er geringe Rentenansprüche, weil er seine Mutter und Tante pflegt. Von dieser winzigen Rente, Grundsicherung im Alter und der Lohrer Tafel lebt Fey heute. Jahrelang hat er Anzeigenblätter ausgetragen. Fey gehört das Haus, in dem er lebt, er muss keine Miete zahlen.
Derzeit beschäftigt ihn sein zweites Hauptinteressengebiet neben Sprachen: die Geschichte. Woran er genau forscht, will er nicht verraten, "um es nicht zu beschreien". Vielleicht reicht es für eine Veröffentlichung, "auf jeden Fall werde ich ein erheblich präziseres Wissen haben".
Er hat nie geheiratet
Ein typischer Satz für ihn. Es sei nie sein Ziel gewesen, sein Wissen zu vermehren, um Geld zu verdienen, sondern er habe Geld eingesetzt, um das Wissen zu vermehren. Im Gespräch macht er einen munteren und aufgeräumten Eindruck, obwohl er im Herbst 2018 und Ostern 2021 zwei Operationen überstehen musste.
In der Diskussion, ob man nach seinem Großvater benannte Straßen umbenennen sollte, will sich Michael Fey weder dafür noch dagegen positionieren. Ihm geht es um das Ansehen von Nikolaus Fey, der zu einem schlimmen Nazi gemacht werde. Das Bild, das da gezeichnet werde, sei nicht vollständig. Sein Großvater sei NSDAP-Mitglied gewesen und habe in der Kulturverwaltung des deutsch besetzten Generalgouvernements in Polen gearbeitet. Den Terror, den er sich nie habe vorstellen können, habe er erst in Krakau kennengelernt, er habe ihn angewidert. Sein Großvater sei naiv gewesen und habe in Hitler eine Art Florian Geyer gesehen. Der Ritter unterstützte im Bauernkrieg aufständische Bauern.
Fey hat nie geheiratet: "Propaganda für mich selber zu machen, liegt mir nicht." Er hat noch lebende Verwandte, aber er kennt sie nicht. Die Geburtstagsfeier wird klein: "Am Abend gehe ich ins Café und treffe Bekannte."