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LOHR
Wir sind durch die Hölle gegangen
Yvonne Vogeltanz
 |  aktualisiert: 08.10.2014 08:01 Uhr

„Wir sind durch die Hölle gegangen“, sagt Anette G. (Namen der Betroffenen wurden von der Redaktion geändert). Vor zwei Jahren erlitt ihr damals 14-jähriger Sohn Quentin erstmals einen Epilepsieanfall. Seitdem ist nichts mehr wie es war, Quentin wurde völlig aus seinem früheren Leben gerissen. Eine Situation, unter der nicht nur der Junge selbst, sondern auch seine Mutter leidet. Halt und Kraft gibt ihr der Austausch mit anderen Müttern, deren Kinder ebenfalls an Epilepsie leiden.

Sie alle möchten nun einen Gesprächskreis gründen, um sich gegenseitig Mut zu machen. Zum Auftakt findet am 16. Oktober um 19.30 Uhr ein Vortragsabend mit Simone Fuchs von der Epilepsieberatung Unterfranken im Lohrer Rotkreuzhaus statt.

Es war im Januar 2012. Quentin stand unter der Dusche, als ein lauter Schlag seine Mutter aufschrecken ließ. Anette G. fand den damals 14-Jährigen in der Wanne: Er krampfte, war blau angelaufen, die Augen waren verdreht. „Zunächst dachte ich, er wäre ausgerutscht. Ich hatte Angst, dass er stirbt“, schildert sie den dramatischen Moment. Ihr Lebensgefährte rief den Rettungsdienst, Quentin wurde in die Uniklinik nach Würzburg gebracht.

Nach zwei Tagen stand die Diagnose fest: Epilepsie. „Die Diagnose war eigentlich die mildere; es hätte ja auch ein Tumor sein können.“ Anette G. las sich in das Thema ein. Zunächst kam auch Quentin gut mit der Diagnose und den Medikamenten klar. Das änderte sich. „Die Epilepsie-Diagnose ist einfach sehr umfangreich, es gibt so viele Formen, so viele Facetten. Der Laie kennt nur, dass jemand krampft und denkt, dass sich das gut mit Medikamenten einstellen lässt.“

Dass es nicht so ist, musste sie in den folgenden Monaten erfahren. „Wir sind durch die Hölle gegangen.“ Quentin leidet an einer fokalen Temporallappen-Epilepsie, die sich bei Anfällen verschieden äußert. Vom Zucken der rechten Körperhälfte, Verständnisproblemen, Halluzinationen bis hin zu Déja-vu-Erlebnissen.

Fünf verschiedene Medikamente musste er bislang zur Behandlung ausprobieren. Der Schüler wurde völlig aus seinem bisherigen Leben gerissen. Schwere Depressionen kamen hinzu, sogar ein Aufenthalt in der geschlossen Psychiatrie. Die Schule musste er abbrechen.

Seit März ist der 16-Jährige nun anfallsfrei. Anette G. fühlt sich angesichts der fehlenden Perspektive für ihren Sohn hilflos. „Man durchläuft viele Phasen, von Trauer bis Wut“, beschreibt sie ihre Gefühle. „Man läuft von Pontius zu Pilatus um Hilfe zu bekommen, wird gefühlt von einer Stelle zur nächsten geschickt. Es gibt immer wieder neue Hürden, die zu überwinden sind.“

Das erste Mal voll und ganz verstanden gefühlt hat sie sich im Austausch mit anderen Müttern, deren Kinder ebenfalls an Epilepsie leiden. Durch Zufall kam sie in Kontakt mit weiteren Betroffenen, im Januar folgte das erste lockere Treffen. Mit dabei war auch Christiane N. Auch ihre Tochter Marie hat Epilepsie – und eine Odyssee hinter sich, die immer noch nicht beendet ist. Die zweijährige Marie entwickelte sich zunächst normal. „Doch irgendwann fand ich, sie war anders, sie hat anders geschaut als andere und hat sich auch sehr spät gedreht“, erinnert sich Christiane N.

Kurz nach Maries erstem Geburtstag fiel der Kopf der Kleinen beim Füttern auf einmal nach vorne. Nach einer ersten Untersuchung an der Würzburger Uniklinik wurde die kleine Marie zwölf Tage für eine genaue Diagnose stationär aufgenommen. Danach stand die Diagnose Epilepsie. Doch damit nicht genug. „Sie hat sich null entwickelt“, berichtet Christiane N. Es folgten viele weitere Klinikbesuche, viele Untersuchungen, viele Mutmaßungen. Zuletzt war sie neun Wochen lang in einem Epilepsie-Zentrum. Dort erhielt sie die aktuelle Diagnose: Marie leidet an einer fokal-kortikalen Dysplasie, an Störungen der Entwicklung der Großhirnrinde, die häufig mit einer Epilepsie vergesellschaftet sind. „Sie hat kein Sprachverständnis, ist über ein Jahr hinterher.“ Im Raum steht eine Operation.

„Möglicherweise wird sie nie sprechen und der Gedanke daran bringt mich fast um“, sagt Christiane N. Kraft gegeben hat ihr in den letzten Monaten der Erfahrungsaustausch mit den anderen Müttern. „Es ist einfach wichtig, da zu sein, für die, die betroffen sind. Sich mal auszuweinen und sich einfach verstanden zu fühlen“, sagt Anette G.

Eben das betont auch Simone Hoffmann vom Selbsthilfebüro Main-Spessart des Roten Kreuzes. Jede Mutter, die ein Kind mit Epilepsie hat, habe ihre Erfahrungen gemacht. Mit Ärzten, Therapien, Medikamenten, den verschiedensten Anfallsformen. Bei einem solchen Gesprächskreis könnten Betroffene aus einem enormen Erfahrungsschatz schöpfen.

Die ersten Treffen stehen bereits fest: 6. November, 4. Dezember und 8. Januar, jeweils um 19.30 Uhr im Weinhaus Mehling in Lohr. Die Auftaktveranstaltung ist am 16. Oktober um 19.30 Uhr im Rotkreuzhaus (Rechtenbacher Straße 1) in Lohr. Simone Fuchs von der Epilepsieberatung Unterfranken wird an diesem Abend einen Vortrag zum Thema „Epilepsie bei Kindern und Jugendlichen“ halten. Kontakt zur Gruppe über E-Mail epikids.msp@gmx.de.

 
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