Wie viele Bäume welcher Stärke und Baumart stehen im Lohrer Stadtwald, wie hoch sind Holzvorrat, Totholzanteil oder Wildverbiss? Alfred Raunecker sammelt seit Wochen unermüdlich Daten zur Beantwortung solcher und anderer Fragen. Der 59-jährige Forstwissenschaftler ist als selbstständiger Sachverständiger mit der sogenannten Forsteinrichtung für den Stadtwald betraut. Sie findet alle 20 Jahre statt und liefert am Ende die Grundlage für die künftige Bewirtschaftung des rund 4100 Hektar großen Stadtwalds.
Doch bis dahin ist es im wahrsten Wortsinn ein weiter Weg: Insgesamt dreimal wird Raunecker den Stadtwald einigermaßen flächig begehen. Das erste Mal war er zwischen Dezember und Januar unterwegs, um ein Raster an Messpunkten mit einem Abstand von 200 mal 200 Metern anzulegen. Was einfach klingt, hat Raunecker acht Kilo Körpergewicht gekostet. Denn er musste dazu, geleitet von einem auf den Rücken geschnallten GPS-Gerät, nicht nur den gesamten Stadtwald bergauf, bergab abschreiten, sondern mit einem Fäustel auch alle 200 Meter ein rund 30 Zentimeter langes Stahlrohr in den Boden schlagen.
1100 Messpunkte markiert
Den Vorgang wiederholte Raunecker rund 25 Mal am Tag, so dass nun im gesamten Stadtwald rund 1100 Messpunkte dauerhaft markiert sind. Das sei neu, sagt Michael Neuner, Leiter des städtischen Forstbetriebs. Früher habe man sich für jede Forsteinrichtung neue Messpunkte gesucht. Mit dem nun angelegten dauerhaften Netz könne man Entwicklungen viel verlässlicher nachvollziehen, da ab sofort immer an den gleichen Punkten Daten erhoben würden. "Wir erhalten so viel genauere Aussagen zur Waldentwicklung", folgert Neuner.
Seit Anfang Februar ist der Forstgutachter Raunecker wieder im Stadtwald unterwegs. Erneut läuft er von Messpunkt zu Messpunkt. Diesmal geht es darum, in einem Umkreis von zwölf Metern um jeden Messpunkt alle relevanten Daten zum Waldzustand zu erfassen. Dort, wo die gelben Plastikkappen auf den Metallrohren unter Laub verschwunden sind, braucht Raunecker mitunter ein spezielles Magnetsuchgerät, um die Messpunkte zu finden.
Daten von rund 15.000 Bäumen
An jedem dieser Punkte misst er bei im Schnitt zwölf bis 14 Bäumen deren Höhe und Durchmesser, erfasst daneben auch Baumart, Zustand und eventuelle Schäden. Über einen im Mittelpunkt des Messkreises aufgestellten GPS-Transponder wird jeder Baum exakt eingemessen. Raunecker und seine als Subunternehmer angestellten Helfer sind dabei unterstützt von städtischem Forstpersonal in drei Trupps zu je zwei Leuten unterwegs. Sie erfassen auch den Zustand der Waldverjüngung, den Verbiss junger Bäumchen durch Reh- und Rotwild oder die Menge an ökologisch besonders wertvollem Totholz. Rund 45 Minuten dauert die Aufnahme an jedem der rund 1100 Messpunkte.
Am Ende der Erhebung wird man Daten von rund 15.000 Bäumen zusammengetragen haben. Per Hochrechnung könne man so auf zwei Prozent genau Aussagen für den gesamten Stadtwald treffen, erklärt Raunecker. Neuner spricht von einem "sehr repräsentativen Verfahren". Diese Form der Waldinventur sei das wichtigste Planungsinstrument für die künftige Waldbehandlung.
Laubaustrieb erschwert Höhenmessung
Ziel ist, die seit Anfang Februar laufende Datenerhebung bis Mitte April abzuschließen, rechtzeitig vor dem Laubaustrieb, der beispielsweise die Höhenmessung erschweren würde. Nach Abschluss der Außenarbeiten müssen die Daten im Computer erfasst werden. Bis Juni werde man dann wissen, wie der Stadtwald zum Beispiel bei Holzvorrat, Baumartenmischung und Totholzanteil dastehe, sagt Neuner.
Die Ergebnisse werden dem Stadtrat im Juli bei der alljährlichen Waldfahrt präsentiert. Das Gremium muss dann festlegen, in welche Richtung Baumartenmischung, Holzvorrat oder auch Totholzanteil künftig gelenkt werden sollen. Anhand dieser Leitlinien wird Raunecker ab Herbst in einem dritten Begang des Stadtwaldes für jeden einzelnen Baumbestand konkrete Vorgaben zu Art, Häufigkeit und Stärke von Eingriffen erarbeiten.
Digital und in Leder gebunden
Ergebnis ist das sogenannte Operat, ein Werk, das für zwei Jahrzehnte Richtschnur für die Arbeit der Revierförster im Stadtwald sein wird. Seinen Niederschlag findet es nicht zuletzt in digitalen Revierkarten. Daneben, so Raunecker, wird es die große Anleitung zur Bewirtschaftung des Lohrer Stadtwaldes aber auch noch ganz klassisch geben, "in Leder gebunden und mit Goldrand".
Ausgelegt ist die nun laufende Forsteinrichtung auf einen Zeitraum von 20 Jahren. In zehn Jahren gibt es eine Zwischeninventur – dann erstmals an genau den gleichen Messpunkten, die Alfred Raunecker jetzt in schweißtreibender Arbeit angelegt hat.
