Wer hat vor fünf Jahren im Sinngrund (Lkr. Main-Spessart) Buchensetzlinge herausgerissen und abgebissen? Der Fall war mysteriös. Forstamt, Bauernverband, Waldbesitzer und Jäger sahen sich einem damals bayernweit einmaligen Phänomen gegenüber: Wild machte sich, offenbar nur zur Befriedigung eines Spieltriebs, über Buchensetzlinge her. Die Schäden waren immens. Spuren deuteten auf Wildschweine als Täter hin, ein Jagdpächter sollte Schadensersatz zahlen.
Aber könnten es nicht auch Waschbären, Dachse oder vielleicht sogar Spaziergänger gewesen sein, wendete der Jäger ein. Dann wäre es kein Wildschaden und er nicht schadensersatzpflichtig. Ein DNA-Gutachten stützte den Wildschwein-Verdacht, doch der Jäger wollte nicht zahlen. Der Fall ging durch die Instanzen und landete schließlich in diesem Januar vor dem Bundesgerichtshof.
Wildschadensverfahren: Jäger müssen für Schäden aufkommen
Michael Schnall, Geschäftsleiter der Verwaltungsgemeinschaft (VG) Burgsinn, macht seit über 20 Jahren Wildschadensverfahren. Ein Jäger muss für einen Schaden aufkommen, der durch Schalenwild, wozu bei uns Reh, Rotwild oder Schwarzwild zählen, verursacht wurde, erklärt Schall. Denn bei diesen Tieren könne er über sein Jagdrecht in den Bestand eingreifen. Der Fall mit den Setzlingen füllt bei der VG schon zwei Aktenordner. Nach "ewigem Hin und Her" hatte der VG-Geschäftsleiter zehn Monate nach dem Vorfall für ein DNA-Gutachten unter Zeugen mit Einmalhandschuhen Proben im Wald genommen und schließlich einen jagdrechtlichen Vorbescheid erlassen. Der Jagdpächter sollte 1000 Euro Schadensersatz sowie die angefallenen Kosten zahlen. Doch er klagte zivilrechtlich dagegen.
Sind Regelungen zu Wildschadensverfahren noch zeitgemäß?
"Wir sollen einerseits vermitteln, was immer zeitaufwendig ist, aber andererseits unverzüglich ein formales Verfahren in Gang setzen", sagt Schnall - hörbar unzufrieden darüber, wie Wildschadensverfahren geregelt sind. "Die Verfahrensregelungen stammen aus einer Zeit, als der Bürgermeister dem Jagdpächter gesagt hat: Für die rausgegrabenen Kartoffeln gibst du dem eine Rehkeule, und dann ist die Sache erledigt." Ginge es um Schadensfälle bei Autos, wäre ein solches Vorgehen undenkbar, sagt Schnall. Früher, als sich die Beteiligten aus dem Dorf kannten, sei eine Einigung einfacher gewesen. Heute seien Jäger oft Auswärtige, und auch Geschädigte seien mitunter nicht bereit auf den anderen zuzugehen.
Die Folge: Die Verfahren dauern und kosten Geld. Im Fall der Buchensetzlinge hat die VG Burgsinn die Kosten verauslagt. Vor Gericht wurde bemängelt, dass die VG als "Wildschadensbehörde" nicht unverzüglich nach der Schadensmeldung im Januar 2016 einen Schätztermin anberaumt habe. Zunächst sei mehrfach eine gütliche Einigung versucht worden, sagt Schnall. Wegen vereister Wege sei der hinzugezogene Forstsachverständige erst Monate später zu der Stelle gekommen, wo die Bäumchen zum Waldumbau in Fichtenbeständen gepflanzt worden waren.
Aber sind Buchen in Fichtenbeständen womöglich eine Sonderkultur und damit nicht wildschadenspflichtig? Solche vom Jagdpächter aufgeworfenen Fragen hätten das ganze Verfahren in die Länge gezogen, sagt Schnall.
DNA-Gutachten sollte nachweisen, dass Wildschweine die Täter waren
Dann war da noch die Frage nach den Übeltätern. Waren es wirklich Wildschweine? Er sei kein Wildbiologe, habe der Schätzer gesagt. Ob sie ein Spaziergänger beim Sonntagsspaziergang herausgerissen habe oder eine Wildsau, das sehe man der Pflanze nicht an. Bis zum bayerischen Landwirtschaftsministerium hinauf habe er versucht, die Rechtslage zu klären, sagt der VG-Geschäftsleiter. "Das steht in keinem Gesetz, dass man noch ein DNA-Gutachten in Auftrag geben muss."
Auf zwei Grundstücken mit dem gleichen Schadensbild waren jeweils drei Proben genommen worden. Das Ergebnis aus dem Labor war für die VG eindeutig: Laut Schnall fanden sich im einen Fall in allen drei Proben Wildschwein-DNA. Beim anderen Grundstück in einer.
Jagdpächter will Schadensersatzpflicht nicht anerkennen
Er habe den tatsächlichen Schaden schon "runtergerechnet" in der Hoffnung auf eine gütliche Einigung, so Schnall. Mit 1000 Euro könnten Jagdpächter und Waldbesitzer doch gleichermaßen leben. Und es hätten ja weit mehr Bäumchen gefehlt als die, die noch herumgelegen seien. Den Vorbescheid focht der Jäger jedoch an, den Schadenersatzanspruch des Waldbesitzers wollte er nicht anerkennen. Das Amtsgericht Gemünden urteilte laut Schnall: Schadensersatz sei zu zahlen, aber beschränkt auf die tatsächlich herumliegenden Setzlinge im Wert von 386 Euro.
Dagegen legten jedoch sowohl der Waldbesitzer, als auch der Jäger vor dem Landgericht Würzburg Berufung ein, das beide zurückwies. So wurde der Fall "hochjuristisch", wie es VG-Geschäftsführer Schnall ausdrückt: Das Landgericht schloss sich laut dem der Redaktion vorliegenden Urteil dem Amtsgericht an. Eine Schadensersatzpflicht könne aufgrund einer Besonderheit im Bundesjagdgesetz und in Ermangelung einer Widerklage des beklagten Waldbesitzers nicht „abgewiesen“ werden. In dieser Frage müsse die VG Burgsinn als Behörde, die den Vorbescheid erließ, entscheiden.
In Revision: Jäger hat vor BGH Erfolg
Der Jäger ging in Revision - und hatte Erfolg. Der Bundesgerichtshof (BGH) urteilte, das Landgericht habe selbst zu entscheiden. Eine Zurückverweisung des Falls an die Verwaltungsbehörde sei in Bayern nicht vorgesehen.
Und jetzt? Michael Schnall sagt resigniert: "Im Endeffekt wird es so ausgehen, dass die Gemeinde trotz aller Bemühungen der Dumme ist. Und es heißt, das Wildschadensverfahren war nicht ordnungsgemäß durchgeführt."