Bis ums Jahr 1915 kannte man in Karbach nur vierbeinige Hamster, also jene kurzbeinigen, klugen, mit großen Backentaschen versehenen Nagetiere, die besonders in der Flurabteilung Baute in Getreidefeldern tiefe Höhlen anlegten und große Wintervorräte ansammelten. Eine zweibeinige Art namens „Hamsterer“ tauchte – wie überall auf dem Lande – etwa ab Ende 1914/15 auch in der Karbacher Bauerngemeinde auf und hielt sich da trotz aller Verfolgungen seitens der Gendarmerie bis ins Jahr 1923.
Es war die Zeit des Ersten Weltkriegs: Die Preise für Lebensmittel stiegen rapide an. Von allen Seiten her, hauptsächlich aus Frankfurt und Aschaffenburg, kamen täglich Hamsterer, die allerlei Nahrungsmittel wie Brot, Mehl, Eier, Fleisch, Schinken, Schnaps, Fett und Butter um jeden Preis heimlich aufkauften und in ihrer Heimatstadt zweifellos mit riesigem Gewinn an reiche Landsleute verschacherten. Dadurch kam es, dass ein Teil der Menschen infolge ihres Wohlstands in Saus und Braus leben konnte, während arme Leute bei den vom Staat verteilten knappen Hunger-Rationen verelendeten, ja in einzelnen Fällen sogar verhungerten.
Heimliche Sammelstellen
Die geschäftsmäßig arbeitenden Hamsterer kamen gern in Trupps vereinigt und suchten als Absteigequartier Wirtschaften und noch lieber Gehöfte auf, zu denen sich besser heimlich gelangen ließ: Mühlen oder Wohnungen am Rande des damals kaum beleuchteten Dorfes. Hier hatten sie ihre Sammelstellen eingerichtet, dahin schafften die von ihnen angestellten Helfershelfer in der Nacht die gekaufte Ware. Dadurch, dass die Hamsterer jeden geforderten Preis zahlten und als Gegengeschäft Gebrauchtwaren verscheuerten, die man in Geschäften nicht mehr bekam, wie Schuhe, Tuch, Handtaschen, weiße Wäsche, Schmuck, Schlittschuhe oder Ski, waren sie nicht unwillkommen. So blühte ihr dunkles Geschäft. Sie übten Druck auf die Haushalte aus, von denen sie schon immer einmal überteuerte Waren bezogen hatten, indem sie mit Polizei-Anzeige drohten.
Viele Leute im Marktflecken Karbach wurden von bei ihnen verkehrenden Hamsterern bestohlen: Es waren unter diesen zweifellos einige, die nichts fürchteten. Weil die Hamsterei gar zu sehr in Schwung kam, und sich ausbreitete, waren in Birkenfeld und Karbach je ein Gendarm stationiert. In Karbach im Haus Nummer 38 (einst Otmar Schubert).
Der Mainfährer Scherg von Hafenlohr verdiente um jene Zeit sehr viel Geld. Jeder Eisenbahnzug brachte Geschäftshamsterer zur Bahnstation Hafenlohr und nahm solche nach ihren Geschäften wieder mit. Oft waren es 15 bis 20 Leute, die über den Main fuhren. Am liebsten durchquerten sie den Wald im Sohlrain, beginnend gegenüber der Hafenlohrer Fähre, und so entstand gar bald der in der Skizze rot eingezeichnete Hamsterer-Pfad, dessen Anfang heute noch gut zu erkennen ist.
Damals herrschte Inflation, von den damaligen Summen könnten Vereine heute nur noch träumen. Die Humoristische Vereinigung „Jung Karbach“, bestehend aus Theaterfreunden und humorvollen Einwohnern spielte am 10. März 1923 wie alljährlich Theater. Gegeben wurde das Singspiel „Versprechen hinterm Herd“. Der Erlös belief sich auf 80 000 Mark. In Karbach gab es eine Zeit lang 234 Millionäre, wenige Monate später 234 Milliardäre, und schließlich bald 234 Billionäre.
Letzte Ruhe auf Geldscheinen
Ein Einwohner verfügte gar, „dass seine Leiche, nach seinem Ableben, auf die vielen, vielen Banknoten aus der Kriegszeit zu liegen kommt, damit er wenigstens etwas von dem „vermaledeiten, bankrotten, schäbigen, schofeln, erbärmlichen, elenden, lumbigen, hundsgemeinen, räudigen und niederträchtigen Geldschwindel habe, und sanft bis zu seiner Auferstehung liege“.
Der Kaminkehrerlohn vom 9. November 1923 fürs Karbacher Schulhaus betrug beispielsweise 38 Billionen Mark, die Musikbegleitung bei der Einweihung des Kriegerdenkmales am 7. November 1923 kostete 900 Billionen Mark.