Vor einigen Jahren ging es der Firma Wenzel nicht gut. Auftragsrückgang, Umsatzeinbruch, Kurzarbeit – die Finanzkrise, die 2007 mit dem Platzen der US-Immobilienblase begann, schlug bis in den Spessart durch. Die Flaute war lehrreich. Heute steht Wenzel vor einem Sprung, den es vor ein paar Jahren fast schon geschafft hätte.
Im Treppenhaus eines der Wiesthaler Werksgebäude lässt sich der Aufstieg der Firma an Schautafeln gut verfolgen: vom Drei-Mann-Handwerksbetrieb unter Gründer Werner Wenzel im Jahr 1968 zur Firmen-Gruppe mit weltweit 630 Mitarbeitern, 320 davon in Wiesthal.
Natürlich waren nicht nur fette Jahre darunter; manche Krise galt es zu überstehen, die vielleicht größte Ende der 2000er-Jahre.
Wenzel baut seit Jahrzehnten Koordinaten-Messmaschinen, vor allem für Auto- und Maschinenbauer. Mit ihnen lässt sich zum Beispiel die Passgenauigkeit von Kolben in Zylindern eines Verbrennungsmotors auf den Tausendstel Millimeter feststellen. „Das ist unsere größte Sparte. Da kommen wir her“, sagt der für Öffentlichkeitsarbeit und PR zuständige Steffen Hochrein.
Doch gerade die Autoindustrie fuhr in der Finanzkrise ihre Aufträge massiv zurück, berichtet Heiko Wenzel-Schinzer, bei Wenzel zuständig für Innovation, Digitalisierung und Geschäftsentwicklung. Investitionen in neue, hochpräzise Messmaschinen wurden geschoben. Die Folgen: Auftragseinbrüche um 40 Prozent; sinkende Umsätze. Kurz zuvor hatte die Geschäftsführung des Familienbetriebes viel Geld in ein breiteres Produktangebot investiert. Das fehlte ein Stück weit, um die Flaute durchzustehen.
Krise überstanden
Doch Wenzel berappelte sich. Die Erholung der Autoindustrie tat gut. „Zwei Jahre dauerte es, bis die Aufträge das vorherige Niveau wieder erreicht hatten“, sagt Wenzel-Schinzer. Auch die getätigten Investitionen waren laut dem 48-Jährigen nicht verloren. „Nach der Krise hatten wir ein breiteres Sortiment.“
Wenzel baut zum Beispiel Verzahnungs-Messmaschinen. Mit ihnen lässt sich sehr genau ermitteln, ob verschieden große Zahnräder ineinander passen. Auch Computer-Tomographen für die Industrie bietet die Firma an. Ihr Vorteil laut Hochrein: Mittels Röntgenstrahlen kann ein Werkstück durchleuchtet werden, ohne Schaden zu nehmen.
Die Wiesthaler Firma stellt auch optische High-Speed-Messgeräte her. Ein Sensor vermisst ein Bauteil, ohne es zu berühren. Ein typisches Beispiel wären metergroße Schaufeln von Turbinen.
Schließlich bietet Wenzel sogenannte Styling Solutions an. Anhand von in den Computer eingegebenen Datensätzen fräsen Maschinen 1:1-Modelle in eine knetartige Modelliermasse. Daran können Entwickler weiterarbeiten, dem Modell seinen Feinschliff verpassen – und die nun neuen Abmessungen wiederum messtechnisch erfassen.
Laut PR-Mann Steffen Hochreinwird Autohersteller Audi diese Technologie in seinem neuen Designzentrum in Ingolstadt nutzen. Die Firma Wenzel hat noch etwas anderes gelernt: nämlich dass es zu gefährlich ist, sich nur auf heimische Märkte zu konzentrieren.
Im chinesischen Shanghai wurde ein Werk gebaut, in den USA ein großer Partner übernommen. „Wir sind als europäischer Mittelständler in die Krise gegangen und als globaler Mittelständler wieder herausgekommen“, sagt Heiko Wenzel-Schinzer. Den Markt teilt er in vier gleich starke Regionen ein: Deutschland, den Rest Europas, Amerika und Asien, wobei China dort mit 70 Prozent den größten Anteil innehat.
Innovatives Unternehmen
Knapp 90 Millionen Euro beträgt der Jahresumsatz der Wenzel-Gruppe derzeit. Für 2018 – dem 50-jährigen Betriebsjubiläum – strebt man die 100-Millionen-Euro-Marke an.
Zuletzt gehörte Wenzel zu „Bayerns Best 50“, also zu den Unternehmen im Freistaat, die am stärksten expandieren. Für dieses Jahr steht schon ein Platz unter den Top 100 der innovativsten Betriebe. Auch hier habe man Lehren aus der Finanzkrise gezogen, so Wenzel-Schinzer. Die Wege zwischen den zur Gruppe gehörenden, weitgehend eigenständigen Ideenschmieden im Umfeld großer Städte und Universitäten und der Wiesthaler Zentrale, wo Prototypen zur Marktreife geführt werden, seien kürzer geworden.
Das ist auch der Situation auf dem Markt für Fachkräfte geschuldet. Für Handwerksberufe, sagt Heiko Wenzel-Schinzer, sei der Standort Wiesthal durchaus attraktiv. „Aber Akademiker in den Spessart zu bekommen, gestaltet sich schwierig.“ Die gingen lieber in die „Brainpools“ bei Karlsruhe oder München.
Auf dem größten Wachstumsmarkt, in China, feiert das Unternehmen dieses Jahr zehnjähriges Bestehen. Das stark ausgebaute Werk beschäftigt schon 100 Mitarbeiter.
PR-Mann Hochrein glaubt, dass sich das weltweite Filialnetz von Wenzel noch erweitern wird. Der Trend gehe zu optischen Messmaschinen, die direkt in den Produktionsprozesse eingebunden seien. Den Menschen als Bediener brauche es nach dem Einrichten des Roboters wohl nicht mehr, prophezeit Hochrein. Wenzel sieht sich gut gerüstet für die Industrie 4.0.
Historie
Die Ursprünge der Firma Wenzel liegen bei Gründer Werner Wenzel aus Heigenbrücken, der 1968 mit einem Drei-Mann-Betrieb und einem Startkapital von 40 000 D-Mark begann. Der Handwerksbetrieb wuchs schnell; schon 1971 lief die erste größere Erweiterung.
Zwei Jahre später umfasste das Betriebsgelände in Wiesthal-Krommenthal 350 Quadratmeter; der Umsatz lag bei 1,5 Millionen Mark. Ende der 1970er-Jahre galt Wenzel als einer der führenden Hersteller für Präzisions-Messtechnik; 1980 produzierte die Firma die erste ihrer Koordinaten-Messmaschinen. Sie stieß auf große Resonanz.
Zum 15-jährigen Betriebsjubiläum 1983 beschäftigte Wenzel 45 Menschen. Das Firmengelände erstreckte sich auf 15 000 Quadratmeter; der Jahresumsatz betrug 4,63 Millionen Mark.
Zehn Jahre später, zum 25. Firmenjubiläum, hatte das Unternehmen andere Betriebe aus der Branche hinzugewonnen – und konnte erstmals als „Wenzel-Gruppe“ auftreten. 2005 eröffnete ein Montagewerk in Shanghai/China. 2008 beschäftigte die Wenzel-Gruppe 520 Menschen; der Jahresumsatz lag bei 85 Millionen Euro. Nach dem Tod des Firmengründers Werner Wenzel 2006 übernahmen die Kinder Heike und Frank Wenzel die Geschäfte.
Heute verbucht die Wenzel-Gruppe einen Umsatz von knapp 90 Millionen Euro und beschäftigt weltweit 630 Mitarbeiter, 320 davon in Wiesthal.
Geschäftsmodell der Wenzel-Gruppe
Die Wenzel-Gruppe mit Stammsitz in Wiesthal baut äußerst präzise Messmaschinen vor allem für die Auto- und die Maschinenbauindustrie, aber auch für die Luft- und Raumfahrt und andere Industriezweige. Grundlage der Maschinen sind Granitblöcke, mal länglich und schmal, mal breit und massiv. Aber immer akkurat geschnitten und entgratet. Die Blöcke werden in Südafrika gebrochen, in einem Steinwerk in Groß-Bieberau bei Darmstadt weiterbearbeitet, um in Wiesthal ihren Feinschliff zu erhalten.
Granit ist sehr robust und stabil, verformt und dehnt sich bei Temperaturschwankungen kaum. Das ideale Material, um durch die Maschine bedingte Messfehler auszuschließen. Denn geringste Abweichungen im Mikrometer-Bereich können die Ergebnisse verfälschen. Ein Mikrometer (µm, auch „Mü“) ist ein Tausendstel Millimeter – weniger als der Durchmesser eines Menschenhaares, in etwa so breit wie die Seide, mit der Spinnen ihre Netze weben. Aus Präzisionsgründen sind auch die messtechnischen Aufbauten – Portale genannt – aus, wenn auch kleineren, Granitelementen. Sie tragen die eigentlichen elektronischen und optischen Messinstrumente.