
Es war ein normaler Freitagmorgen, als bei Ernst R. aus einem Karlstadter Ortsteil das Telefon klingelte. Die aufgeregte Stimme einer jungen Frau schlug ihm entgegen. "Papa, Papa! Es ist etwas Fürchterliches passiert! Du musst mir helfen!" Völlig aufgelöst stammelte und schluchzte sie, aus den folgenden Satz- und Wortbruchstücken erfuhr der Mann von einem schweren Unfall, bei dem eine Frau totgefahren wurde.
Dann übernahm eine andere Frauenstimme das Gespräch und stellte sich als Polizistin vor. Die "Tochter" werde nun zur Abklärung des Unfallvorgangs und der Schuld in Untersuchungshaft genommen, sofern nicht eine Kaution hinterlegt würde. Als der Karlstadter nachfragte, wo der Unfall geschehen sei, verwies sein Gegenüber auf den Raum Würzburg. Damit allerdings war der Betrugsversuch gescheitert, die Tochter des Ernst R. lebt schließlich seit 15 Jahren in den Vereinigten Staaten. Nach dieser Mitteilung wurde das Gespräch sofort beendet.
Unterfranken: Zahl der Betrugsanrufe rasant gestiegen
Nicht alle Opfer aber haben so viel Glück wie beim Karlstadter Beispiel, sagte der Polizeioberkommissar Christian Blum, der mit seiner Kollegin Stefanie Försch auf dem Marktplatz einen Informationsstand zum "Callcenterbetrug" eingerichtet hatte und dort auf die Fragen sowie Erfahrungsberichte zahlreicher Passantinnen und Passanten eingehen konnte. Im Regierungsbezirk Unterfranken habe sich in den letzten drei Jahren die Zahl der gemeldeten Betrugsanrufe und damit die Schadenssumme vor 1,4 auf vier Millionen Euro drastisch erhöht, so die Polizistin.

Häufig sind Seniorinnen und Senioren betroffen, besonders Alleinstehende. Die Vorgehensweise der Täterinnen und Täter ist immer ähnlich. Sie geben sich am Telefon als Polizeibeamte, Amtsträger oder nahe Angehörige aus und versuchen ihre Opfer unter verschiedenen Vorwänden dazu zu bringen, die vorhandenen Vermögenswerte zu übergeben.
Callcenterbetrug: Das sind aktuelle Maschen der Betrüger
Dabei nutzen die Täterinnen und Täter eine spezielle Technik, die bei den Angerufenen die polizeiliche Notrufnummer 110 oder eine andere örtliche Telefonnummer auf dem Telefondisplay anzeigt. Fast immer ist diese Telefonzentrale im Ausland angesiedelt, bevorzugt in Osteuropa oder in der Türkei. Derzeit gibt es auch vermehrte Betrugsversuche über "Whatsapp" und solche mit dem Bezahldienst "Paypal".
Häufige Vorwände sind oft aktuell: Nach einem vermeintlichen Einbruch in der Umgebung sollen vorhandene Wertsachen zur "Eigentumssicherung" oder "Spurensicherung" vorübergehend in Verwahrung genommen werden. Nach einem tödlichen Verkehrsunfall muss eine "Kaution" zur Abwendung einer Haftstrafe oder medizinischen Versorgung gezahlt werden. Dazu seien Wertgegenstände oder Bargeld zu übergeben. Neu auch die Masche, bei der das Opfer die "Polizei" bei aktuellen Ermittlungen gegen angeblich kriminelle Bankmitarbeiter unterstützen soll und dort aufbewahrte Vermögenswerte zur Eigentumssicherung übergeben.
Der Telefonanruf mit schockierenden Nachrichten klingt meist überzeugend
Perfide an dem Vorgehen ist der seelische Stress, denn die Opfer sind auf die Situation nicht vorbereitet. Der Telefonanruf mit schockierenden Nachrichten klingt meist überzeugend und erzeugt deshalb noch mehr Stress. Die Tatpersonen halten ihre potenziellen Opfer oft stundenlang in der Telefonleitung beschäftigt. Dadurch werden diese massiv unter psychischen Druck gesetzt.

Ein gedanklicher Ausstieg aus der Gesprächsführung ist für die Opfer dann oft nicht mehr möglich. Die Telefonleitung wird dabei nie unterbrochen. Sobald man bereit ist, Vermögenswerte zu übergeben, soll es möglichst schnell gehen. Dazu werden vermeintliche Kuriere einer Behörde oder Amtsträger in die Nähe der Wohnanschrift geschickt oder das Opfer zu einer bestimmten Übergabeörtlichkeit gelotst. Ist das Geld erstmal übergeben, wird das Telefongespräch sofort beendet.
2024 schon sieben Betrugsanrufe bei Hilde M. aus Himmelstadt
Die beiden Polizeibeamten Blum und Försch setzen wie die Behörde auf frühzeitige Prävention: Der wichtigste Hinweis ist, dass die Polizei oder vergleichbare Amtspersonen niemals telefonisch die Aushändigung von Bargeldbeträgen oder Wertsachen einfordern werden. Bei einem derartigen Ansinnen ist also von vorneherein äußerste Vorsicht geboten. Im Zweifelsfall sollte man das Gespräch unterbrechen und einen selbstständigen Anruf bei der nächstgelegenen Dienststelle oder beim Polizeinotruf 110 absetzen.
Ein Gespräch mit nahestehenden Personen oder wenn möglich ein Rückruf mit den scheinbar in Not geratenen Angehörigen könnte Klarheit bringen. Unbekannte oder unterdrückte Nummern können ein Warnsignal sein. Ganz wichtig aber auch der Rat: "Lassen Sie grundsätzlich keine Unbekannten in Ihre Wohnung."
Eine Person, die bei der Gesprächsaktion auf dem Karlstadter Marktplatz gehörig Erfahrungen gesammelt hat, ist die 87-jährige Hilde M. aus Himmelstadt, die allein in diesem Jahr sieben derartige Anrufe erhalten hat und diese akribisch mit Datum, Anrufernummer und Gesprächsverlauf notiert und den Behörden zur Verfügung stellt.
Weitere Informationen gibt es unter www.polizei.bayern.de/schuetzen-und-vorbeugen/beratung/039355