Es handelt sich um die Rotorwelle, den Kern eines der beiden Generatoren im Pumpspeicherkraftwerk Langenprozelten, dem wichtigsten Spitzenlastkraftwerk für Bahnstrom in Deutschland. Die Welle hat einen Euro-Wert in mindestens siebenstelliger Höhe und wird vermutlich ins Guinness-Buch der Rekorde kommen als Teil des weltgrößten Einphasen-Wasserkraftgenerators.
Seit Mai vergangenen Jahres lässt die Donau-Wasserkraft AG das Pumpspeicherkraftwerk für rund 56 Millionen Euro generalüberholen und ertüchtigen (wir berichteten mehrfach). Die Donau-Wasserkraft ist ein Tochterunternehmen der Rhein-Main-Donau AG (99,25 Prozent) und von Uniper, ehemals E.ON. Aufgrund der Bedeutung für den Bahnverkehr erfolgt die Überholung der 1971 bis 1976 gebauten Anlage vorsorglich.
Die Wirkweise des Kraftwerks: Mit überschüssigem Nachtstrom werden bis zu 1,4 Millionen Kubikmeter Wasser ins 534 Meter hoch auf der Solhöhe gelegene Oberbecken gepumpt. Sie rauschen am Tag zu Spitzenzeiten ins 310 Meter tiefer gelegene Unterbecken und treiben über Turbinen die zwei weltgrößten Einphasen-Bahnstromgeneratoren (a 84 200 Kilowatt) an. Die Anlage ist eine riesige Batterie. Es könnte genug Energie erzeugt werden, um 60 Intercity-Züge acht Stunden lang Tempo 200 fahren zu lassen. Mit den bis zu 200 Millionen Kilowattstunden Spitzenstrom im Jahr könnte ein ICE theoretisch 330 Mal die Erde umrunden, erklärt Jan Kiver, Pressesprecher der RMD.
Eine riesige Batterie
Im Sommer 2015 stand die Anlage einige Zeit still, als nach dem Ober- auch das Unterbecken sicherheitshalber neu mit Asphalt abgedichtet wurde. Da war die Rotorwelle für den ersten Generator schon seit einem Jahr in Arbeit.
Nach Angaben von Jan Kiver wurde die Stahllegierung des kostbaren Generator-Herzens in der Saarschmiede GmbH in Völklingen gefertigt: Aus einem 250-Tonnen-Block entstand durch mehrmaliges Durchglühen bei 1700 Grad und Pressen mit 1000 Tonnen Druck nach dem Abscheiden von Schlacken ein Rohling von 150 Tonnen.
Dieser Klotz wurde in einer Firma bei Mailand in Italien durch monatelanges Präzisionsfräsen und -drehen in die jetzige Form mit runden Achsen und einem eckigen Mittelteil gebracht, 7,35 Meter lang und zwei mal zwei Meter breit im Rotor-Mittelteil. Dadurch verlor der Block nochmals 50 Tonnen.
Superlative
Der Hersteller der Welle ist die Andritz Hydro GmbH in Weiz, Steiermark. Dort wurde die Rotorwelle ausgiebig hinsichtlich der zu erwartenden Belastungen getestet. Bis zu 500 Umdrehungen in der Minute muss sie im Langenprozeltener Kraftwerk aushalten. An den vier Polen ringsum (jeweils 34 Tonnen Kupfer) entstünden dabei Fliehkräfte von jeweils 24 000 Tonnen, berichtet Projektleiter Erwin Heimhilcher von Andritz und hat ein anschauliches Beispiel für diese ungeheuren Kräfte parat: als ob an jedem Pol 70 Jumbojets zögen.
Andritz brachte die Welle im sogenannten Schleudertunnel für Sicherheitstests auf 750 Umdrehungen und tüftelte am Zusammenbau des Generators – ein Prototyp, auch für die österreichischen Spezialisten. Der Generator entspricht im Aufbau einem Fahrrad-Dynamo. Vergangenes Jahr wurde der äußere Blechmantel erneuert – im Zwei-Schicht-Betrieb legten Arbeiter metergroße Bleche im Kreis aufeinander, 144 000 Stück. Dann wurden vor Ort die Spulen gewickelt.
Derweil durchlief die Super-Welle ihre letzten Prüfungen. Am Freitag voriger Woche ging das 100-Tonnen-Stück, gebettet auf eine zwei Tonnen schwere Holzkonstruktion, in Weiz auf die dreieinhalbtägige und 770 Kilometer lange Reise nach Langenprozelten. Um die Straßen nicht zu verdrücken musste die Last verteilt werden. Dafür setzte Andritz einen 26 Meter langen, zwölfachsigen Schwertransporter ein. Seit der Ankunft am Montag um 3.30 Uhr werden der Zusammenbau des Generators und die Verankerung der Rotorwelle in der Francis-Pumpturbine (drei Meter im Durchmesser) vorbereitet.
Millimeterarbeit
Gerade ausreichend ist in der Generatorenhalle der fest eingebaute Kran mit einer Tragkraft von 105 Tonnen. An seinen Haken befestigten die 20 Facharbeiter eine Stahltraverse, die an ihren Enden zwei Stahlseilschlaufen trägt. Sie wiederum greifen in zwei Halterungen am Mittelteil der Rotorwelle; ein drittes Stahlseil sichert die Last gegen Kippen. Von Montag an hob der Kran tatsächlich millimeterweise die Welle und ließ sie zum Generatorgehäuse hinab.
Immer wieder unterbrachen die Spezialisten um Bauleiter Siegfried Wiederhofer und Projektleiter Erwin Heimhilcher ihre Arbeit für Besprechungen, aber auch zum Sammeln neuer Konzentration. Die Zuschauer – Reporter von Presse und Fernsehen sowie natürlich die zwölfköpfige Kraftwerksmannschaft um Betriebsleiter Dieter Weißenberger – erlebten die Anspannung einer Premiere mit: Auf den letzten Metern, Zentimetern, Millimetern der langen Reise des wertvollen Stahlteils sollte nichts schief gehen. Die Gefahren sind unter anderem ein Verkanten oder auch, dass etwa ein Werkzeug unbemerkt ins Generatorinnere fällt.
Endgültig fixiert wird die Welle erst nach den Osterfeiertagen, dann folgen umfangreiche Testläufe. Erst wenn der neue Generator in Betrieb geht, kann der zweite erneuert werden – die Schwester-Rotorwelle ist bereits in Arbeit. Laut Jan Kiver soll die Ertüchtigung des Kraftwerks Ende 2017 abgeschlossen sein.